Der schlimmste Feind - Was sagt die Star Trek-Literatur über die Borg?

 

Dieser Artikel ist erschienen in der deutschen Übersetzung des Romans Before Dishonor (Heldentod), Cross Cult 2010.

 

Sie sind die schlimmsten Feinde der Föderation, eine Geißel des Antiindividualismus und des immerwährenden Gleichklangs. Es scheint sie schon gegeben zu haben, als auf der Erde das Feuer entdeckt wurde. Und doch sind die gerade einmal zwei Jahrzehnte, seit die Menschheit wenig freiwillig mit ihnen in Kontakt trat, auch an den Borg nicht spurlos vorbeigegangen. Une venis, quo vadis, Kollektiv? Der essayistische Versuch, mithilfe der Star Trek-Literatur ein wenig „Ordnung ins Chaos“ zu bringen.

 

Die wahre Nemesis

 

Es war der DS9-Drehbuchautor und -Showrunner Ira Steven Behr, der das Dominion als „Antiföderation“ gesetzt haben wollte, als der friedlichen Planetenallianz eines Jean-Luc Picard völlig gegenläufiges Konzept, als deren Nemesis. Aber wer genauer darüber nachdenkt, wird erkennen, dass das Dominion trotz seiner religiös unterfütterten Hierarchie noch viel zu disharmonisch ist, um dieser Rolle gerecht zu werden. Nein, der eigentliche Antagonist der Föderation im Hinblick auf einen Gesellschaftsentwurf ist das Borg-Kollektiv. Dessen ureigene Philosophie bündelt sich in seinem Motto:

„Freiheit ist irrelevant. Selbstbestimmung ist irrelevant. Unterwerfen Sie sich.“

 

Als diese Worte erstmals ausgesprochen wurden, sahen wir gleichgeschaltete Drohnen in Bienenstockanordnungen an Bord von kubischen Schiffen. Wir sahen eine Gesellschaft frei von kleinlichen Egoismen und Widerstreiten, einzig und unnachgiebig auf ein großes Ziel hinarbeitend. Wir sahen auch einen blanken Fortschrittsfanatismus, für den kein Opfer zu groß ist. Es steht außer Zweifel: Die Borg in Star Trek waren ihrer Zeit eine kleine Revolution im Sci-Fi-Genre. Prompt schossen daher auch die verschiedensten Interpretationen über die hinter ihren Auftritten stehende Metapher aus dem Boden.

 

Im Anhang des zweiten TNG-Fortsetzungsromans, Widerstand, wurde bereits abrissartig behandelt, wie die Sichtweisen auf die Borg sich durch Zeitgeist, inhaltliche Akzentverschiebungen und ästhetische Kategorien innerhalb des Star Trek-Franchise über die Jahre seit ihrem ersten Erscheinen wandelten. Heute sind wir angekommen beim Bild einer cybertechnischen Diktatur – die jedoch nach wie vor äußerst viele Geheimnisse birgt. Daran vermochte auch die vierte Serie Voyager, die viele neue Themenkreise rund um das kybernetische Kollektiv erschloss, nichts zu ändern. Im Gegenteil: Je mehr über die Borg bekannt wurde, desto mehr häuften sich die Fragen.

 

Auf der Leinwand blieb uns Star Trek entsprechende Antworten nicht selten schuldig oder verhedderte sich in frappante Widersprüche – ein Umstand, in dem sicher auch ein gewisser Reiz begründet liegt. So konnten sich in jüngster Zeit auf einem anderen Feld kreative Köpfe mit den Invasoren aus dem fernen Delta-Quadranten auseinandersetzen. Es sind dies die belletristischen Star Trek-Schriftsteller, und im Rahmen ihrer Geschichten fühlten sie dem einen oder anderen Rätsel rund um die Borg auf en Zahn.

 

Aus Platzgründen sei hier eine Auswahl der wichtigsten Fragen rund um die Borg geboten. Welche Vorgaben etablierten Film und Fernsehen? Und lassen sich mithilfe der Star Trek-Romane Antworten finden?

 

Wie alt sind die Borg?

 

Schon in den TV-Serien wurden Angaben zum vermeintlichen Alter der Borg gemacht. Doch das schwankte ziemlich stark. In der ersten Borg-Folge überhaupt, Zeitsprung mit Q,ließ sich Guinan, ziemlich selbstsicher klingend, vernehmen, es gebe das Kollektiv bereits seit „Millionen von Jahren“. Voyager widerrief diese Angabe nicht explizit, war aber deutlich bescheidener. Die Episode Die Zähne des Drachen stellt das Volk der Vaadwaur, eine ehemalige Großmacht vor, das bereits vor neunhundert Jahren – also im 15. Jahrhundert – einen Erstkontakt mit den Borg hatte. Es wird zumindest angedeutet, dass die Borg zu diesem Zeitpunkt noch längst nicht die Ausdehnung im Delta-Quadranten erreicht haben, wie sie im 24. Jahrhundert vorherrscht, sondern vielmehr auf eine Handvoll Sternensysteme beschränkt sind. Die Offiziellen Fakten & Infos, eine Star Trek-Zeitschriftenreihe aus den neunziger Jahren zum Sammeln, datieren das Alter der Borg auf „Jahrtausende“, ohne konkreter zu werden.

 

Was sagt die Star Trek-Belletristik? Die Kurzgeschichte The Hunted führt aus, die Borg hätte es schon vor mehr als einhunderttausend Jahren im Delta-Quadranten gegeben. Darüber hinaus gibt es lediglich zwei echte Romane, die ein paar Worte über ihr Alter verlieren. Peter Davids TNG-Geschichte Vendetta erwähnt relativ nebulös, die Existenzspanne der Borg belaufe sich auf ein „Zigfaches der Föderation“. Ergiebiger scheint da schon die Classic-Novelle Die Sonde, die bereits Assimilationsfeldzüge vor über hunderttausend Jahren verortet und damit mindestens die Schilderungen aus The Hunted deckt.

 

Nun stellt sich die Frage, ab wann die Spezies existierte und ab welchem Zeitpunkt man von ‚Borg’ im engeren Sinne spricht. Was ist der Stichtag? Sicherlich der Zeitpunkt, an dem sie lernten, die Kybernetik für sich fruchtbar zu machen. Und mit ihr die Assimilation.

 

Seit wann assimilieren die Borg?

 

Schenkt man einer Erklärung aus Der Erste Kontakt Glauben, waren die Mitglieder des Kollektivs früher organisch, also rein humanoid. Sie entwickelten sich aber ab einem bestimmten Zeitpunkt grundlegend weiter und verbesserten auf der Suche nach Perfektion ihr Leben mittels kybernetischer Implantate. Das war ein erster Schritt, sich von der Methode normalen Erwerbs von Wissen und Stärke loszusagen. Schließlich gingen die Borg dazu über, das Beste aus anderen Kulturen zu absorbieren, indem sie deren Angehörige als Drohnen in ihr riesiges Hive-Netzwerk einbanden. Damit einher ging wohl auch die endgültige Aufgabe einer biologischen Fortpflanzung. Geschehen sein könnte das im Zeitraum des Kontakts mit den Vaadwaur.

 

Laut Fakten & Infos wissen die Borg zu diesem Zeitpunkt auch noch nichts von Subraumkorridoren. Das heißt, selbst wenn sie bereits assimilieren konnten, war ihr Dunstkreis noch sehr eingeschränkt. Um 2145 herum sollen immerhin über 260 Spezies assimiliert worden oder zumindest ein derartiges Ziel von ihnen angestrebt worden sein. Dass dem Kollektiv in dieser Phase auch Ferengi aus dem Alpha-Quadranten angehören, zeigt, dass die Borg zu dieser Zeit schon Transwarpkorridore benutzen. Diese Informationen decken sich durchaus mit Bemerkungen in bestimmten Romanen.

 

Im vorliegenden TNG-Relaunch-Buch, Heldentod,wird davon ausgegangen, dass die Assimilationskarriere des Kollektivs schon beinahe so lange währt wie es selbst existiert. Das würde der These tendenziell zuwiderlaufen, dass die Borg ohne ihre kybernetische Hälfte vorstellbar sind – obwohl gewisse VOY-Episoden da durchaus ein Einfallstor für Diskussionen sein mögen.

 

Die TNG-Kurzgeschichte The Beginning sagt, die Borg seien „erschaffen“ worden und hätten dann ihr Eigenleben entwickelt, das immer mehr mit Selbsterweiterung und –verbesserung auf kybernetischer Basis schwanger ging. Das Hive sei zu Anfang nicht so strikt gewesen, sondern habe Emotionen zugelassen. Erst der Gedanke, perfekt sein zu wollen – der den Borg später inhärent wurde –, brachte den Wunsch zu assimilieren ins Spiel. The Beginning thematisiert überdies, die Borg hätten zunächst ihre Heimatwelt und damit höchstwahrscheinlich ihre Erschaffer assimiliert und seien dann übergangen zur Konstruktion ihrer schweren Kuben.

 

Der zweite Band des Shatner-Universe, Die Rückkehr,spekuliert indirekt über die Möglichkeit, die Borg hätten sich selbst assimiliert, möglicherweise durch einen Unfall. Wäre dem so, würde sich die Frage nach einem Kollektiv unabhängig von dieser Lebens- und Eroberungsweise erledigen.

 

Last but not least gibt es eine mit Vorsicht zu genießende, nichtsdestoweniger interessante Interviewaussage des ehemaligen Editors Marco Palmieri, der das dominante Borgthema für den TNG-Relaunch damit rechtfertigte, dass es sich bei Föderation und Kollektiv um zwei grundlegende Antagonisten handele. Man dürfe nicht vergessen, dass gerade die Menschheit für die Borg kein gewöhnlicher Feind sei. Diese Bemerkung hat durchaus etwas für sich, bietet sie doch Raum für Überlegungen, inwieweit die ‚offizielle’ Begegnung mit der Enterprise-D die Bionischen erst in ein Assimilationsfieber versetzt haben mag. So oft, wie die Borg verbissen wieder und immer wieder versuchen, sich der Erde zu bemächtigen, lässt sich hier ein gewisser Verdacht nicht von der Hand weisen. Man denke auch an das herausgehobene Verhältnis von Locutus zur Königin. Womit wir bei der nächsten Frage angelangt wären.

 

Wie ist der Status der Borgkönigin?

 

Das Auftauchen der Borgkönigin in Der Erste Kontakt traf einige Fans hart, andere fanden die Idee wiederum brillant. Auf jeden Fall schien es das bisherige Bild von den Borg umzukippen – in einen knallharten Totalitarismus. Doch dann stellte Data seine Frage und erhielt von der Königin eine Antwort, die manche Befürchtungen abfederte: „Ich bin die Eine, die viele ist. […] Sie vermuten eine Unvereinbarkeit, wo keine existiert: Ich bin das Kollektiv.“

 

Dennoch bedeutete die Existenz einer Königin – ob sie auch nur administrativen und nicht herrschenden Charakter haben mag – eine ideelle Verlagerung. Fortan waren die Borg kein gleichgeschaltetes Kollektiv mehr, sondern glichen mit ihrer Königin eher einem Insektenstaat. Jemand sagte dazu, das Star Trek-Universum hätte sich damit ein Stück weit entideologisiert. Gleichwohl verblieb die Königin ziemlich in der Schwebe – was sicherlich auch einen wesentlichen Teil ihrer Faszination ausmacht. Wie verhalten sich einschlägige Romane zu ihrer Figur? Treffen sie Aussagen darüber, wer sie ist und was sie qualifiziert? Lüften sie das Rätsel, ob es nur eine oder mehrere Königinnen gibt?

 

In VOY Unimatrix Zero, Teil II sagte die Königin, sie sei selbst einmal assimiliert worden, als Angehörige der Spezies 215. Damit zerstreuten sich Vermutungen, sie wäre der Ursprung des Kollektivs oder hätte maßgeblich an seiner Erschaffung mitgewirkt. Das, was man aus den Trek-Büchern erfährt, wertet die einzelne Königin, wie sie beispielsweise Picard begegnete, prinzipiell weiter ab. Sie scheint nämlich – trotz einer gelegentlich auffallenden Verwendung des Wortes ‚Herrschaft’ – funktionell ersetzbar. Sowohl der VOY- als auch TNG-Relaunch (Homecoming/The Farther Shore bzw. Widerstand/Heldentod) beschäftigen sich mit der Frage nach dem Status der Königin und wie er zu erlangen ist. Offenbar ist dafür ein bestimmter Algorithmus zuständig, der gemeinhin als ‚Royale Protocol’ bezeichnet wird und die Königin generiert.

 

Wer in den Besitz dieses Protokolls gelangt und es für sich nutzbar zu machen versteht, kann tendenziell zur Königin aufsteigen. So war beispielsweise Seven of Nine in The Farther Shore für eine Millisekunde Borgkönigin, nachdem sie einen weiblichen Admiral tötete, auf die die Borg vorher das ‚Royale Protocol’ angewandt hatten. Wichtig scheint zu sein, dass es sich bei der Vorlage um eine Frau handelt, weil die Beschaffenheit des weiblichen Gehirns wohl günstiger für die Multitaskingfähigkeiten einer Königin ist als das männliche. Die geschlechtslosen Drohnen können aber auch zwecks einer Feminisierungsprozedur umtransformiert werden, sodass es im Notfall keinen Mangel an Rohmasse gibt.

 

Weiter lässt sich sagen: Die Königin bringt tatsächlich „Ordnung in das Chaos“, indem sie erst die notwendigen Strukturen für die Funktions- und Steuerungslogik des Kollektivs und seines virtuellen Hives bereitstellt. Ohne sie wäre ein hierarchisches Arbeiten nicht möglich. Konsequenzen davon konnte man in der TNG-Doppelfolge Angriff der Borg oder in den VOY-Folgen wie Überlebensinstinkt besichtigen. Somit muss es eine Königin geben – ob mehr als eine, ist fraglich, denn darüber schweigen sich auch die Star Trek-Romane bis dato aus.

 

Es gibt allerdings auch hier eine heiße Spur. Der TNG-Relaunch entfaltet in Widerstand die Geschichte eines vom Kollektiv abgeschnittenen Kubus, der im Alpha-Quadranten strandet und dort um die Errichtung eines neuen Kollektivs bemüht ist. Wieder wird eine Königin benötigt. Picard und die Enterprise-E können diese in einer Anstrengung zur Strecke bringen und die Borg an Bord des Kubus somit in einen Ruhezustand versetzen. Später lösen diese mutierten Drohnen aber mithilfe eines Tricks das ‚Royale Protocole’ aus und schaffen es, Kathryn Janeway zu assimilieren und zu ihrer neuen Königin zu machen. Es scheint also: Jeder für sich eigene Schwarm braucht seine eigene Königin.

 

Inwiefern ein Schwarm wiederum Einfluss auf die Verhaltensweisen der Borg-Königin hat, wäre eine weitere reizvolle Frage. In Widerstand dürfen wir auf dem abgeschnittenen Kubus eine Königin besichtigen, deren Wortwahl zumindest untypisch scheint. Sie spricht von ‚Vergewaltigung’ und ‚Spaß’, hat beinahe einen kaustischen und bösartigen Charakter.

 

Machen die Borg nur Evolution oder unterliegen sie ihr auch?

 

Der isolierte Kubus, von dem soeben die Rede war, demonstriert, dass vom Kollektiv getrennte Drohnen nicht immer dazu tendieren müssen, auf ihre ursprüngliche Identität zurückzufallen. Denn das Hive ist nach wie vor innerhalb der Kubusgemeinschaft aktiv, aber anders als die Borggruppe um Hugh in TNG gibt es hier keine Auflösung oder Zerstreuung des Kollektivgeistes. Vielmehr verändert sich, wie Widerstand und später Heldentod zeigen, das Hive in dieser Einheit.

 

Indem die Borg darauf angewiesen sind, ein neues Kollektiv mit einer neuen Königin aufzubauen, kommt es zu einer Veränderung in ihrer Entwicklung, zu einer Mutation ihrer virtuellen Identität, die sie nicht selbst bestimmt haben. In der Folge versetzt sie diese Verwandlung in die Lage, neue Strategien zu entwickeln (sie wollen plötzlich auslöschen statt assimilieren) und ihren Kubus zu einer Waffe verwandeln, die die bisherige Assimilationstechnik weiter perfektioniert – zu einem sprichwörtlichen Absorbtionsmechanismus, mit dessen Hilfe der Würfel wachsen kann wie ein organisches Wesen. Insofern hat es den Anschein, als würden selbst die Borg von den unsichtbaren Gesetzen der Evolution mitbestimmt.

 

Wie privat ist eine Drohne?

 

Hier gibt es ausnahmsweise eine so gut wie völlige Redundanz der Informationen aus der Literatur mit TV und Film. Es herrscht ein Common Sense darüber, dass die Individualität einer Drohne innerhalb des Hive unterdrückt, aber nicht ausgelöscht wird. Schon TNG machte da klare Vorgaben, und VOY ging diesen Weg weiter.

 

Mehr oder minder wegweisend für die Star Trek-Literatur war – noch vor Erscheinen der TNG-Episode um Hugh Peter Davids Vendetta, das bereits mit der Rückentwicklung zu einem Individuum spielte und gewissermaßen das vorwegnahm, was wir später in vielen Variationen, vor allem aber bei Seven of Nine sehen konnten. Hier wurde auch betont, je länger man im Kollektiv ist, desto schwerer ist eine Rückkehr in die Individualität und umso größer ist das Bedürfnis nach dem Hive.

 

Was sich zwischen TNG und VOY veränderte, war, dass immer mehr der Zwangscharakter des Hive anstelle eines freiwilligen Kollektivverbundes herausgestrichen wurde. So entstand auch eine Lücke für die Frage, inwieweit Drohnen Rückzugsorte haben, um dort ihre unterdrückte Individualität ausleben zu können. Unimatrix Zero war ein erster Ölzweig in diese Richtung. Obwohl die Borg in TNG Widerstand und Heldentod beinahe emotionale Anwandlungen bekommen – man denke nur an das Motiv der Rachsucht –, wurde das Thema eines virtuellen Kompensationsraums, eines Ausstiegsmodus, bislang nicht in der Literatur aufgegriffen. Daher ist nicht klar, wie viel Spielraum der einzelnen Drohne für ein mögliches Doppelleben gegeben ist.

 

Woher kommen die Borg?

 

Hier gibt es aus   Es ist vermutlich die Gretchenfrage. Hitzige Debatten ranken sich seit längerem um den Ursprung der Cyborgs. Zweifellos ist die Geburtsstunde des Kollektivs einer der Wendepunkte in der Geschichte der Milchstraße. Aber wann und wie vollzog er sich? Während Star Trek in TV und Kino das Thema bislang gekonnt umschifft hat, wurde in literarischen Welten bereits nach Antworten gesucht. In den Romanen der früheren Generation existieren verschiedene Theorien zur Entstehung der Borg parallel nebeneinander.

 

Die TNG-Kurzgeschichte The Forgotten Light entwirft ein Szenario, wonach die Borg auf einem Planeten namens Havarrnus im Alpha- oder Beta-Quadranten kreiert wurden. Die technologisch weit fortgeschrittenen Bewohner der Kolonie wurden von einer viralen Seuche befallen und sahen sich genötigt, die Schäden an ihren Körpern durch kybernetische Komponenten auszugleichen. Später war der Planet dem Untergang geweiht, weil der Stern des Systems sich in einen Roten Riesen zu verwandeln begann. Als Antwort auf die bevorstehende politische Anarchie, die die Verwüstung der Welt mit sich bringen würde, schälte sich eine Gruppe von Techologiefanatikern aus der Gesellschaft heraus, die den ‚Interlink Act’ propagierten.

 

Die Kolonisten, denen klar war, dass sie zusammenhalten mussten, willigten in ihrer Not ein, und jeder erhielt einen Neuroprozessor, der die Geister harmonisch zusammenhielt. Aber etwas geschah: Das Hive bekam seine Eigendynamik, und obwohl es maßgeblich dazu beitrug, dass die Kolonisten überlebten, veränderte es sie nachhaltig. Die Idee, eines Tages wieder die Neuroprozessoren ablegen zu können, fand keine Verwirklichung mehr. Die neu entstandenen Borg verließen innerhalb von zweihundert Jahren Havarrnus, bevor es gänzlich unbewohnbar wurde, und durch die Möglichkeiten, die ihnen nun offen standen, gingen sie in den Delta-Quadranten. Die Borg waren unbeabsichtigt entstanden.

 

Die andere TNG-Kurzgeschichte, die sich mit den Wurzeln des Kollektivs beschäftigt, ist The Beginning. Im Prinzip schlägt sie in dieselbe Kerbe wie The Forgotten Light, indem sie die Borg als unbeabsichtigt, ja gar als Unfall präsentiert. In dem Szenario, das diese Geschichte präsentiert, ist die Rede von einer todkranken Spezies, die mithilfe von Nanotechnologie versucht haben soll, sich zu retten. Und auch hier gerät ihre Erfindung außer Kontrolle: Die Nanosonden bekommen ihr Eigenleben, und es ereignet sich eine planetenweite Kontamination. Die Borg erwachen aus einer Laune der Geschichte zum Leben, in The Beginning wird das sogar noch deutlicher.

 

Subtiler geht der TOS-Comic Side Effects vor. Dort wird niemals expressis verbis von den Borg gesprochen, aber es gibt zumindest einen Verdacht, es könnte sich um die Entstehungsgeschichte des Kollektivs handeln. Side Effects thematisiert die Forschungsarbeiten eines Wissenschaftlers namens Mynzek an einem Schwarzen Loch. Nach einigen Rückschlägen entsendet er seine Tochter Danzek als Testkaninchen in den Ereignishorizont, ausgestattet mit diversen biotechnologischen Komponenten. Auch hier ist das Ergebnis, dass sich diese Komponenten verselbstständigen und Danzeks Geist verändern. Am Ende verschwindet sie, möglicherweise als neue und erste Königin des Kollektivs.

 

Die zweite Denkmöglichkeit bezieht sich auf einen Urborg. Seit die Drohnenzivilisation zum ersten Mal in TNG auftauchte, gibt es Gerüchte darüber, dass V’Ger aus The Motion Picture etwas mit ihnen zu tun haben, vielleicht sogar der Urborg sein oder zumindest in irgendeiner Verbindung mit ihnen stehen könnte. Während der Dreharbeiten zu Zeitsprung mit Q soll Gene Roddenberry gemutmaßt haben, dass der Maschinenplanet, auf dem V’Ger strandete, die Heimatwelt der Borg sein könnte. Möglicherweise haben sie sich irgendwie wechselseitig beeinflusst. Das Buch, das an dieser Stelle eine derartige Theorie vertritt und auch die Sonde aus Zurück in die Gegenwart in einen Zusammenhang mit den Borg stellt, ist Die Sonde. Allerdings bleibt doch sehr vage, welche Korrespondenz zwischen V’ger, Sonde und Borg besteht.

 

Baldige Klarheit

 

Offenbar hat die Star Trek-Literatur die Borg die meiste Zeit über eher zaghaft angefasst. Sie hat eigene Vorschläge gemacht und punktuell den Horizont in Bezug auf das Kollektiv erweitert, gerade mit Blick auf die Stellung der Borgkönigin. Nichtsdestotrotz gab es in den Büchern Unklarheiten und widersprüchliche Informationen, weil niemals eine ganzheitliche Interpretation vertreten wurde, die alle Fäden zusammenlaufen ließ. Somit war es lange Zeit dem Fan selbst überlassen, was er sich über die Borg zusammenreimte.

 

Bis jetzt. Denn der TNG-Relaunch ist nur der Auftakt einer Erzählung bei Cross Cult, die im Sommer 2010 in die Trilogie Star Trek: Destiny übergehen wird. Dabei wird Schluss gemacht mit Spekulationen und Halblösungen. Die Destiny-Trilogie erhebt als eine Romanfolge der neuen Generation den Anspruch, die Star Trek-Geschichte weiter zu erzählen – und grundlegend zu revolutionieren. Deshalb wird sie es sich herausnehmen, auch den Hintergrund der Borg ausführlich zu beleuchten. Die Wahrheit über das Kollektiv wird ans Licht kommen. Man muss nur der Fährte folgen, die Heldentod eingeschlagen hat.