Regieren in Utopia (Essay)

 

Dieser Artikel ist erschienen in der deutschen Übersetzung des Romans Articles of the Federation (Gesetze der Föderation), Cross Cult 2010.

 

Die Vereinigte Föderation der Planeten. Seit nahezu einem halben Jahrhundert ist dieser Begriff in Fernseh- und Leinwandwelten Programm – jüngst wieder in der Star Trek-Neuschöpfung von J.J. Abrams. Und mehr ist eigentlich auch nicht zu sagen. Oder etwa doch?

 

Die Frage ist wahrscheinlich so alt wie der Gegenstand, auf den sie sich bezieht: Welche politische Ordnung verbirgt sich hinter jenem interstellaren Gebilde, dessen salbungsvoller Name zusammen mit dem Signum des stilisierten Blattdiadems eine futuristische Mischung aus UNO und Vereinigten Staaten zu ergeben scheint?

 

So homogen die Fangemeinschaft von Star Trek, so vielfältig sind auch die Antworten, die einem ins Haus stehen. Sicher haben sich die Macher des Franchise, angefangen mit Gene Roddenberry selbst, etwas dabei gedacht, als sie die Frage nach der politischen Identität der Föderation ein ums andere Mal geschickt umschifften und stattdessen lieber auf Losungen setzten, die mit übergreifenden, guten Werten besetzt sind. So richtig fassbar wurde das Wesen dieser Planetenallianz eigentlich nur in seiner Negation, nämlich in der Abgrenzung zu Völkern wie dem Dominion oder den Borg, deren Gesellschaftsordnungen für Autoritarismus, Herzenskälte und völlige Gleichschaltung stehen.

 

Keine Frage, seit Star Trek existiert, scheuen die Produzenten und Drehbuchautoren es, auch nur ein Wort zu viel zu verlieren und dem Franchise dadurch etwas zu nehmen, was es bisweilen einzigartig macht: ein utopisches und romantisches Element. Wer mit den Serien und Filmen auch nur ansatzweise vertraut ist, der weiß, dass, wenn es um den Kern der guten Utopie in Star Trek geht, immer die Föderation eine Rolle spielt – jener Planetenbund, der im Laufe der Jahrhunderte durch die Werte, für die er steht, so erfolgreich wird, dass er sich selbst durch die Galaxis zu exportieren beginnt.

 

Begeben wir uns trotzdem dorthin: an die Grenze des Wissens, das Star Trek und die Romane zu diesem Thema über die Föderation preisgeben. Unternehmen wir den Versuch, zu einem Urteil zu gelangen über die Kräftefelder und Prinzipien, die der vielleicht größten politischen Erfolgsgeschichte in der Entwicklung der Milchstraße innewohnen. Einer Erfolgsgeschichte, die – so prophezeit es Star Trek – in 53 Jahren ihren Anfang nimmt.

 

 

Gründungskonstellation

 

Wie viele Institutionen in unserer realen Welt, ist auch die sagenumwobene Föderation das Kind einer existenziellen Krise. Die Rede ist von einem vierjährigen Krieg gegen das romulanische Sternenimperium, der selbst Jahrhunderte später wegen seiner großen Auswirkungen auf die Historie unvergessen geblieben ist. Bereits vor Ausbruch dieses Konflikts hatte es teils weit reichende diplomatische Initiativen gegeben, die auf den ersten berühmten Sternenflotten-Captain Jonathan Archer zurückgehen, um zu einer intensiveren Zusammenarbeit zwischen den Völkern in der stellaren Region um die Erde zu finden. Trotz sich einstellender Erfolge war es aber erst die romulanische Bedrohung, die dazu führte, dass Misstrauen und Ressentiments zwischen diesen Spezies endgültig fallen gelassen wurden und zur intensiven Kooperation zwang.

 

Jahre, in denen Menschen, Vulkanier, Andorianer und Vulkanier militärisch Seite an Seite standen, um mit vereinten Kräften ihre Welten zu schützen, schufen Institutionen und Vertrauenszirkel, die am langen Ende des Kriegs nicht nur den Sieg brachten, sondern auch eine politischen Union erkennen ließen. Ansätze dessen hatte es bereits mit der Gründung der Koalition der Planeten im Jahr 2155 gegeben. Die Strukturen waren da, der Wille auch. So wurde das Jahr der romulanischen Kapitulation auch das Jahr einer neuen Realität für die Erde und ihre Alliierten.

 

Als die Stunde der Not hinter ihnen lag, verzichteten sie darauf, die geknüpften Bande wieder zu lösen. Stattdessen taten sie das Gegenteil: Die Zusammenarbeit wurde auf eine Weise vertieft, wie sie vier Jahre zuvor keiner von ihnen für möglich gehalten hätte. Die Geburtsstunde der Föderation fiel auf den 11. Oktober 2161. Für diesen Teil der Galaxis war es der Beginn einer goldenen Ära. Durch sie konnten die Menschen die grausamen Nachwirkungen des Dritten Weltkriegs endgültig hinter sich lassen und sich der Zukunft zuwenden, die sie in den Sternen gefunden hatten. Ausgerechnet ihr Planet wurde zur Herzkammer eines Unterfangens, das einen Anfang, aber kein Ende zu kennen scheint.

 

 

Aufbau und Institutionen

 

Die Föderation tritt uns entgegen als durch und durch föderalistisches Gebilde, das den Grundsatz ‚Einheit in Vielfalt’ im besten Sinne verwirklicht. Ohne auf eine gemeinsame, übergeordnete Politik und mit ihr verbundene Werte zu verzichten, genießen die einzelnen Welten in ihr ein Höchstmaß an Souveränität und Autarkie. Was wir über den Verlauf der Jahrhunderte mitbekommen, ist, dass dieses Grundprinzip niemals verändert wird. Von einer schleichenden Zentralisierung der Planetenallianz kann also nicht die Rede sein. Vielmehr ist sie geprägt von einem breit angelegten System des Interessensausgleichs, das sich nicht zuletzt in ihren zentralen politischen Organen niederschlägt.

 

Die supranationale Ebene wird durch den Präsidenten repräsentiert, der von allen Bürgern der Föderation auf allen ihren Mitgliedswelten gewählt wird. Er ist dem Wohl der Gemeinschaft verpflichtet und hat seine politischen Richtlinien an ihr zu orientieren. Es spricht vieles dafür, dass der Präsident nicht lediglich der höchste völkerrechtliche Repräsentant im Staatswesen der Föderation ist, sondern eine Reihe handfester exekutiver Befugnisse besitzt.

 

So sahen wir beispielsweise in der DS9-Episode Die Front, wie er das Kriegsrecht auf der Erde verhängte, nachdem er davon überzeugt wurde, dass Formwandler des Dominion den Planeten infiltriert hätten. Aufgrund der föderalen Verfasstheit der Planetenallianz, die den Mitgliedswelten und deren eigenen Regierungen weitgehende Eigenständigkeit belässt, ergibt sich die größte Rechtshoheit des Präsidenten höchstwahrscheinlich bei Notlagen und zu Kriegszeiten. Auch das Kabinett, auf das sich der Präsident stützen kann, verleitet zu der Annahme, dass er durchaus die Funktion eines Regierungschefs innehat.

 

Um das Funktionieren des politischen Systems der Föderation zu gewährleisten, ist es jedoch erforderlich, dass die Abstimmung mit den Mitgliedswelten erfolgt, welche sich im Föderationsrat versammeln. Letzterer vertritt die Interessen der einzelnen Nationen innerhalb der stellaren Gemeinschaft. Im 24. Jahrhundert scheint es sich aufgrund der Vielzahl der Föderationsmitglieder durchgesetzt zu haben, dass jede Welt nur einen Botschafter – eventuell über nationale Wahlen – ernennt und ihn als ihren genuinen Interessenvertreter samt Delegation zur Erde in den Föderationsrat entsendet. Hinweise darauf ergehen beispielsweise aus den Romanen des Deep Space Nine-Relaunch, Offenbarung, Der Abgrund und Dämonen der Luft und der Dunkelheit. Über die relative Gewichtung der einzelnen Stimmen nach Bevölkerungszahl ist nichts bekannt. Der föderalistische Grundsatz lässt allerdings vermuten, dass es zu einem angemessenen Ausgleich zwischen demokratischer und föderativer Repräsentation kommt, sodass auch kleine Welten innerhalb des Staatenkonzerts im Föderationsrat aufgewertet werden.

 

Stellvertretend für ihre jeweilige Regierung und damit nationale Exekutive nehmen die Abgesandten im Föderationsrat bezeichnenderweise legislative Funktionen für den Staatenbund wahr. Die Frage, welche Entscheidungsbefugnisse dem Föderationsrat zustehen und welche nicht, kann aus den existierenden Quellen nicht beantwortet werden. Die stets betonte Unabhängigkeit der einzelnen Völker deutet indes darauf hin, dass höchstwahrscheinlich Mechanismen in die Verfassung der Föderation eingebaut wurden, die die Hürden für eine Ausweitung der Ratskompetenzen sehr hoch legen. Der Präsident der Föderation sitzt als Ratspräsident dem Föderationsrat vor. Es ist anzunehmen, dass das Staatsoberhaupt, um ein politisches Projekt durchzusetzen, Mehrheiten im Föderationsrat organisieren und gewinnen muss. Nur indem er an Aushandlungsprozessen aktiv teilnimmt, kann er seine politische Agenda verwirklichen.

 

Über weitere Organe, beispielsweise einen Gerichtshof der Föderation, ist nichts bekannt. Allerdings sehen wir am Ende des vierten Kinofilms, Zurück in die Gegenwart, wie der Präsident und der Rat James T. Kirk verurteilen und degradieren. Man sollte daraus aber nicht schließen, dass Präsident oder Rat judikative Bevollmächtigungen haben. Im Sinne einer modernen Gewaltenteilung ist es wesentlich wahrscheinlicher, dass das Urteil von einer judikativen Gemeinschaftsinstanz oder einem Sternenflotten-Militärgericht im Vorfeld weitergeleitet wurde.

 

In jedem Fall scheint es beratende Gremien und Beiräte zu geben, die dem Regierungstandem Präsident – Rat beistehen und fachliche Expertise bei Gesetzesvorhaben hinzusteuern. Ein Beispiel hierfür ist der Wissenschaftsrat der Föderation. Es ist gut möglich, dass es weitere solcher Institutionen gibt, die beispielsweise bestimmte Regionen der Planetenallianz vertreten und ihre Rechte gewahrt sehen wollen. In einem so komplexen Staatsapparat muss auch auf eine effektive Verwaltung zurückgegriffen werden, die nicht zuletzt bei der Implementierung von Gemeinschaftsrecht in nationales Recht behilflich ist.

 

 

Rolle der Sternenflotte

 

Die Sternenflotte genießt seit jeher eine prominente Rolle in Star Trek. Insofern stellt sich natürlich die Frage, inwieweit sie mit Blick auf das politische System der Föderation nicht nur eine militärische, sondern auch aktive, beratende Funktion besitzt. Am Beispiel des Admirals Leyton in Deep Space Nine lässt sich ablesen, dass die Oberkommandierenden der Sternenflotte offenbar wesentliches Gehör beim Präsidenten genießen und eine wichtige Feedbackinstanz bei dessen Entscheidungsfindung sind.

 

Da die Sternenflotte sich beileibe nicht nur auf Ziele der planetaren Verteidigung beschränkt, sondern hinsichtlich des Kredos um friedliche Erforschung und Diplomatie gewissermaßen mit dem Wesenskern der Föderation verschmolzen ist, kann davon auszugehen sein, dass der – zumindest informelle – Einfluss ranghoher Offiziersberater auf die Regierungspraxis in der Föderation relativ groß ist. Im TNG-Roman A Time for War, A Time for Peace erleben wir sogar, wie sich mit William Ross ein Admiral um das höchste Amt im Staat, die Präsidentschaft, bewirbt. Letztlich wird er aber von Nanietta Bacco geschlagen.

 

 

Grundsätze, Ziele und Voraussetzungen der Mitgliedschaft

 

Aus Episoden wie Verbotene Liebe, Stunde Null oder Dies sind die Abenteuer wissen wir, dass die Föderation sich bei ihrer Gründungszeremonie anno 2161 eine Charta und damit eine Verfassung gegeben hat. Die Charta ist das von den Mitgliedswelten ratifizierte Dokument, welches das Verhältnis zwischen Gemeinschaft und Einzelstaaten verbindlich regelt. Doch abgesehen von den Entstehungshintergründen und der Bestätigung für die Existenz jener Verfassung ist unser Wissen nur sehr spärlich darüber, welchen Grundsätzen die Gemeinschaftsebene der Föderation verpflichtet ist.

 

Um einen unverbindlichen Vergleich mit der Europäischen Union zu riskieren: Diese konzentriert sich auf der supranationalen, vergemeinschafteten Ebene stark auf den gemeinsamen Binnenmarkt. Aber was macht die Föderation? Der Gedanke, dass man es bei ihr mit einer Wirtschaftsunion zu tun hat, erscheint angesichts der weit gediehenen Moral, der wir im 23. und 24. Jahrhundert in Form von Direktiven und anderen Vorschriften begegnen, eher abwegig. Und um auf die Geschichte zurückzugreifen: Die Gründe für die Entstehung der Föderation lagen nicht im Bedarf nach einer ökonomischen Fusion, sondern in der Herausforderung des romulanischen Kriegs.

 

Im Auftreten gegenüber anderen Mächten erscheint die Föderation viel stärker als homogene Einheit denn nach innen. Mit der Sternenflotte hat sie eine gemeinsame Militär- und Explorationsinstitution geschaffen, die zu einer Verstärkung dieses geschlossenen Auftretens nach außen in erheblichem Umfang beiträgt. Die politische Union scheint also der Planetenallianz sehr viel näher zu liegen als das Modell der pragmatischen Wirtschaftsgemeinschaft. Während ihre Gliedstaaten im Innern relative Unabhängigkeit genießen, stellt die Föderation – und das ist ein erstaunliches Phänomen – im Bereich der Außenpolitik eine nahezu synchronisierte Einheit dar.

 

Dass die Föderation als Wertegemeinschaft in erster Linie nach außen agiert, zeigt sich – jenseits der Direktiven der Sternenflotte – in den Berufungen auf die Charta, zu denen es in einigen Episoden kommt. In der DS9-Folge Die Übernahme stellt Benjamin Sisko das Scheitern von Bajors Aufnahmeprozess in die Föderation in Aussicht, sollte ein undemokratisches Kastensystem auf dem Planeten errichtet werden. In der Episode Unter den Waffen schweigen die Gesetze derselben Serie hebt Doktor Bashir hervor, dass die Einmischung in die inneren Angelegenheiten einer souveränen Macht laut Charta der Föderation eindeutig verboten ist. Kathryn Janeway nimmt in der VOY-Episode Die Leeere die Charta als Grundlage für eine temporäre Allianz verschiedener Spezies, da sie die Grundsätze der Gleichheit und Gleichberechtigung erfüllt und Regeln für eine geordnete Konfliktregelung vorgibt. In derselben Folge ist übrigens ein Textauszug auf einem Terminal zu lesen. In einer gewissen Analogie zur Charta der Vereinten Nationen handelt es sich offenbar um die Präambel der Föderationscharta:

 

Wir, die Lebensformen der Vereinigten Föderation der Planeten, entschlossen die uns folgenden Generationen vor den Schrecken des Krieges zu schützen und das Vertrauen in die fundamentalen Rechte eines empfindungsfähigen Wesens, die Würde und den Wert allen Lebens, in die gleichen Rechte der Angehörigen von großen und kleinen Planetensystemen wiederherzustellen und einen Zustand zu etablieren, unter dem Gerechtigkeit und Respekt für die Verpflichtungen, welche sich aus den Verträgen und anderen Quellen interstellarer Gesetze ergeben, aufrecht zu erhalten und auch den sozialen Fortschritt und bessere Lebensstandards auf allen Welten zu fördern…

 

So innenpolitisch diese Worte klingen mögen, so außenpolitisch bedeutsam sind sie, wenn man nach den Voraussetzungen der Mitgliedschaft in der Föderation fragt. Zwar scheinen die Welten, die sie vereint, enorm unterschiedlich zu sein, allerdings zeigen die genannten Beispiele und die zitierte Präambel, dass die Ziele und Grundsätze der Föderation sich eindeutig im Bereich von Demokratie, Gewaltenteilung, Rechtsstaatlichkeit und einer Transparenz von Strukturen verorten. Es darf also mit einiger Sicherheit angenommen werden, dass die Bedingungen, Eintritt in den planetaren Bund zu erhalten, Friedfertigkeit und Freiheit sind. Oder um mit Immanuel Kant zu sprechen: „Demokratien führen keine Kriege gegeneinander.“

 

 

Gretchenfrage

 

Star Trek gibt es nicht gerade seit gestern. Und doch betritt, wer nach dem politischen System der Föderation fragt, bislang unbeschrittene Pfade. Wie hältst Du’s mit der Politik? – Es ist keine ganz einfache Frage, denn die Planetenallianz ist gerade in ihrer Unkonkretheit attraktiv, weil das den nötigen Raum für die Utopie lässt und die allesamt fehlerbehafteten Politiksysteme der Gegenwart überspringt.

 

Bestimmt will niemand die positive Ausstrahlung dieser Utopie zerstören. Trotzdem interessieren sich die Fans in einer Zeit zunehmend realistischerer Science-Fiction dafür, wie es in den Hallen der Macht des 24. Jahrhunderts zugehen könnte – oder welche politische Kultur die in sich so heterogene Föderation haben mag?

 

Ein Roman wie Die Gesetze der Föderation von Keith R.A. DeCandido kommt da gerade recht. Er entführt den Fan in eine Welt, die Star Trek uns bislang vorenthielt: die Welt der Politik in der Föderation. Was immer man von ihm halten mag, ist er so zumindest in der Lage, eine lebhafte Diskussion anzustoßen. Auf die Frage in einem im Jahr 2006 durchgeführten Interview, warum er diesen Roman schreiben wollte, weiß Autor DeCandido zu antworten: „Mich interessierte besonders die medial diskutierende Öffentlichkeit und wie sie auf die politische Willensbildung einwirkt. Wie Sie feststellen werden, kann selbst im 24. Jahrhundert noch lebhaft gestritten werden. Und das ist doch das beste Beispiel, dass die Föderation quicklebendig ist.“

 

Selbst noch nach Hunderten Jahren.

Selbst in der Utopie.