Ein fruchtbarer Boden – Mein Verhältnis zu TOS

 

Ich gehöre dem Jahrgang 1985 an. Das heißt, zu jener Zeit, als die ursprüngliche Star Trek-Serie erstmals lief, war ich noch lange irgendwo in der Milchstraße unterwegs. Ich bin in den 1990er Jahren TV- und Kino-sozialisiert worden, mit allen Höhen und Tiefen, die dazu gehören. Das bedeutet, eine emotionale Beziehung zu TOS hatte ich nie.

 

Gleichwohl habe ich mich im Laufe der Zeit intensiv mit den Abenteuern von Kirk, Spock und Pille befasst, weil sie schlicht und ergreifend ein zentraler Bestandteil des Canon geworden sind. Wer sich ernsthaft mit Star Trek beschäftigt, kommt an Classic nicht vorbei. Obwohl ich einige Dinge in dieser Serie als das erkenne, was später mal die ‚Roddenberry-Box‘ genannt werden sollte (gemeint sind Dogmen wie der Zwang zu nicht-zusammenhängenden Episoden alias die große Unverbindlichkeit, den weitgehenden Verzicht auf crewinterne Konflikte, eine etwas überhöhte Darstellung des geläuterten Zukunftsmenschen oder auch eine Verballhornung alles Religiösen, vom eher rückständigen Frauenbild ganz zu schweigen), sehe ich sehr wohl die Samen, die damals gesät worden und in späteren ST-Serien zu blütenreichen Gewächsen gesprossen sind.

 

Gemeint sind Geschichten, die wie Parabeln auf zeitgenössische Themen und Entwicklungen daher kommen. Die Autoren verarbeiteten den kalten Krieg und seine explosiven Stellvertreterkonflikte wie insbesondere den Vietnamkrieg, die Rassenkonflikte der 1950er und 1960er Jahre, die Zeit der Verbrechersyndikate in den USA, die aufkommende Computerisierung, Eugenie und andere Zeitbezüge – manchmal auch im amüsanten, bunten Trashformat, etwa wenn Kirk und seine Besatzung auf eine Gruppe von Weltraumhippies stießen. Genregrenzen gab es dabei nicht, und hier betrat Star Trek Neuland. Es machte sich im wahrsten Sinne des Wortes locker. Aus diesem inhaltlichen Potpourri konnten spätere Serien reichhaltig schöpfen und sich breit aufstellen.

 

Herausragend war, dass Star Trek zu all den Themen, die es aufgriff, eine eigene moralische Message mitbrachte. Man denke zum Beispiel an die Absurdität ethnischer Konflikte, wie es die Folge Bele jagt Lokai nahe legt. Ähnlich absurd-genial sind verschiedene Darstellungen, wie Zerstörungswut und Kriegslust vernichtende Computer bzw. Massenvernichtungswaffen hervorbringen, die sich dann vollständig verselbstständigen und den Menschen mehr oder weniger ihren Willen aufzwingen (Krieg der Computer, Ich heiße Nomad, Planeten-Killer). Manchmal kam die Botschaft zwar ein wenig mit dem Holzhammer daher, aber hier zählt der Versuch, einen ethischen Kompass mitbringen zu wollen, was teilweise zu grandiosen Geschichten führte. Während die meisten generischen Unterhaltungsformate dieser Zeit dem Zuschauer unmissverständliche Gut-Böse-Konstellationen (blütenweiße Helden, abgrundtiefe Widersacher!) präsentierten, zeichnete sich Star Trek in seinen besseren Folgen dadurch aus, dass es nicht bloß schnurbartzwirbelnde Schurken darbot, sondern die Perspektive des Gegners einnahm, sich in ihn hineinversetzte. Musste man diesen auch bekämpfen (wie etwa im großen Raumkampf zwischen Kirk und dem namenlosen romulanischen Commander, gespielt von Mark Lenard, in Spock unter Verdacht), wurden die Kontrahenten beleuchtet und auch mit Würde ausgestattet. Im Zuge dessen lernten wir, dass auch der Feind innere Konflikte mit sich austrägt und von daher ein mehrdimensionales Wesen aus Fleisch und Blut ist.    

 

Star Trek machte es sich niemals leicht, sondern war schon damals bemüht, die Gegenwart zu verarbeiten und durch das Prisma seines eigenen imaginären Kosmos zu spiegeln. So erhielten wir Geschichten von schillernder Reichhaltigkeit, die selbst mehr als ein halbes Jahrhundert nach ihrer Erfindung nichts von ihrer Aktualität eingebüßt haben. Was in TOS eher beiläufig angelegt war – die Enterprise als Repräsentantin einer multikulturellen, moralisch orientierten Planeten-Föderation – sollte ein Proprium späterer Star Trek-Shows werden, ein spezielles Identitätsmerkmal und Markenzeichen. In den 1980er Jahren würde eine gewisse Neuauflage namens The Next Generation das Wesen der weiter entwickelten Menschheit und der Föderation verstärkt beleuchten, ohne dabei die idealisierte, zuversichtliche Utopie aufzugeben. Vor allem würde TNG, noch mehr aber wohl Deep Space Nine, zeigen, was es in Grenzsituationen bedeutet, zu seinen Prinzipien und rechtschaffenen Grundsätzen zu stehen (courage under fire).

 

Ähnlich wegweisend war TOS mit Blick auf das (schauspielerisch perfekt besetzte!) Triumvirat Kirk, Spock und McCoy – gewissermaßen das Salz in der Suppe von TOS, vielleicht sogar jenes Lebenselixier, das die Serie im Laufe der 1970er Jahre populär machte und ihr sechs erfolgreiche Kinofilme bescherte. Schnell ist es Roddenberry gelungen, ein heterogenes, liebenswürdiges Trio zu bilden, das ganze Folgen tragen konnte: Captain James Kirk als der starke, charismatische Anführer mit den beiden Flügeln McCoy (=moralisches Gewissen und Gefühl) und Spock (=Verstand und Logik). Der Arzt und der spitzohrige Wissenschaftsoffizier traten häufig als argumentative Antipoden und heuristische Grundkategorien auf. Je nach Situation und Szenario musste der Captain neu abwägen und entscheiden. Kommende Serien haben sich hier mit eigenen Akzentsetzungen viel abgeguckt (insbesondere was den konsultierenden und beratenden Aspekt sowie das Ringen um das beste Argument angeht).

 

Vor allem die ikonische Figur des (abseits der menschlichen Gemeinschaft stehenden) Spock, die im Zuge der originalen drei Staffeln sukzessive immer besser ausgeleuchtet und entwickelt wurde, war stil- und inhaltsprägend für das gesamte ST-Universum (man denke an nachfolgende Figuren wie den Androiden Data, den Formwandler Odo, die von den Borg befreite Seven of Nine oder Subcommander T’Pol in Enterprise). Spock sah aufgrund seiner spitzen Ohren, schrägen Brauen und der erhabenen Erscheinung Leonard Nimoys nicht bloß exotisch aus; er vereinbarte brillante, ja übermenschliche Intelligenz und Analytik mit einer latenten inneren Zerrissenheit, die teils seiner halb-menschlichen, halb-vulkanischen Identität, aber auch den ‚wilden‘ Genen seiner Vorfahren geschuldet waren (man denke hier an die Episode Weltraumfieber).

 

Auch das Thema Multikulturalität und Pluralismus war von vorneherein ein entscheidendes Element von Star Trek, das ihm eine gesellschaftliche Vorreiterrolle verschaffte. Der Umstand, dass in der Hochphase des kalten Kriegs eine Führungscrew auf der Enterprise agierte, zu der ein Russe ebenso wie eine dunkelhäutige Frau oder auch ein Japaner zählen, kann nicht hoch genug eingeschätzt werden. Den weiterführenden Integrationsaspekt verkörperte zudem Spock mit seiner halb-vulkanischen Abstammung. Schon auf der Enterprise der 1960er Jahre wurde das Prinzip ‚Einheit in Vielfalt‘, wie es später zum Föderationsideal schlechthin werden sollte, aktiv gelebt.

 

Trotz der schweren Themen, die es teilweise behandelte, blieb Star Trek stets eine ausgesprochen optimistische Serie, die die tief sitzende Überzeugung ihres Schöpfers ausstrahlte: Die Menschheit ist in der Lage, ihre derzeitigen Probleme hinter sich zu lassen und sich entscheidend zum Guten weiterzuentwickeln, wenn sie dies nur wirklich will. Roddenberry sah die Segnungen der Rationalität und vor allem der Wissenschaft als Vehikel, um den Erdlingen zu einem nicht nur technologischen, sondern vor allem geistigen und moralischen Sprung nach vorn zu verhelfen. Dieser Spirit, der Star Trek mitgegeben wurde, überdauerte die Jahrzehnte.

 

Vieles, was am ST-Franchise so einzigartig ist, hat also seine Wurzeln in TOS. Insofern kann ich der Schöpfung Gene Roddenberrys nur meine Hochachtung entgegenbringen, war es damals doch ein echtes Wagnis, unter Low-Budget-Bedingungen ein Experiment ohne Blaupause und gegen alle in den 1960er Jahren vorherrschenden Sehgewohnheiten und Vorstellungen von der Zukunft. Selbst wenn es anfangs nicht den Erfolg zu haben schien, den Roddenberry sich erhoffte, so sieht man, wie TOS über die Jahre wie ein guter Wein reifte und mehr und mehr bei den Zuschauern Anklang fand. Es war erst der Beginn von etwas Großem, nämlich einem sprichwörtlichen Wagenzug zu den Sternen…

 

Danke dafür, Gene Roddenberry.

 

Hinweis: Sämtliches in diesem Artikel verwendetes Bildmaterial entstammt www.trekcore.com (öffentlich verfügbare Screencaps)

 

B'rel-Klasse Vor'Cha-Klasse K't'inga-Klasse Negh'Var-Klasse K'Vort-Klasse