A Stitch in Time

Autor: Andrew J. Robinson
Erscheinungsjahr: 2000
Seitenzahl: 390
Band: Post-DS9

Zeitraum: 1/2376

 

Inhalt

 

Garak, seines Zeichens Schneider, Gärtner, Spion, Verhörexperte, Attentäter, Philosoph und Überlebenskünstler, ist eine der vielschichtigsten Figuren in Star Trek. In sieben Jahren Deep Space Nine folgte seine Charakterentwicklung stets einem bestimmten Prinzip: Wir erhielten immer mal wieder eine (halbe) Antwort auf unsere Fragen über seine Vergangenheit, doch je mehr wir über den Schneider erfuhren, desto mehr neue Fragen tauchten auf. Das war auch ein Geheimrezept des Charakters, das ihn dauerhaft spannend machte. Immerhin: Versatzstücke dieser Vergangenheit, die Garak etwas latent Unberechenbares verlieh, durften wir im Laufe der sieben Staffeln kennenlernen, und uns offenbarte sich ein Mann voller frappierender Widersprüche, ein wildes, schillerndes Fragmentarium von Identitätsmerkmalen. Die Geschichte seiner komplexen Persönlichkeit wurde jedoch nie erzählt.

 

Mit A Stitch in Time, einer unmittelbar an die Geschehnisse des DS9-Finales anknüpfenden Erzählung, schließt sich der Kreis. In diesem, von Garak-Schauspieler Andrew J. Robinson höchst selbst entwickelten Roman aus dem Jahr 2000 werden die entscheidenden Stationen in der Biografie des Cardassianers offengelegt. Alles beginnt damit, dass Garaks so viele Jahre gehegter Traum Wirklichkeit wird: Er darf nachhause zurückkehren, zurück nach Cardassia.

 

Doch was ist davon jetzt noch übrig? In den letzten Tagen des Dominion-Kriegs legten die Jem’Hadar große Teile des Planeten in Schutt und Asche; Hunderte Millionen Cardassianer fanden den Tod. Nach seiner Ankunft läuft Garak durch Staub, Feuer und Ruinen. Vor ihm liegt eine gebrochene, von den Fehlern der Vergangenheit ruinierte Welt. Garak möchte helfen, sie wiederaufzubauen, auch wenn er weiß, dass dies vermutlich eine Generationenaufgabe werden wird. Er sieht sich mit einem kollabierten, von einer Identitätskrise befallenen Volk konfrontiert, dessen Glaubensgrundsätze zerborsten sind und das auch mental am Abgrund steht.

 

Um die Cardassianer zu vereinen, muss sich Garak mehr denn je mit seiner eigenen Vergangenheit auseinandersetzen. Dabei hilft ihm seine intensive Korrespondenz mit dem auf DS9 verbliebenen Julian Bashir. Nach und nach breitet Garak seinem alten Freund sein Leben aus. Im Zuge dessen beginnt er sich der Welt zu erinnern, die ihn großzog; der Welt, die er stets verachtete und doch über alles liebte. Es ist ein introspektiver Rückblick, der mit Schmerzen einhergeht. Doch nur so ist es möglich, Frieden mit sich zu machen.

 

 

Kritik

 

Der vierhundert Seiten lange Roman besteht aus drei großen Handlungsbögen, die in unterschiedlichen Zeitperioden spielen und einander ständig abwechseln. Klug ineinander verschachtelt, werden sie alle aus Garaks Perspektive in der Ich-Form als Teil seiner urpersönlichen ‚Memoiren‘ erzählt, die er Bashir anvertraut. Der erste Plot spielt in der Gegenwart. Er schildert die unmittelbaren Eindrücke und Gedanken des Schneiders im Angesicht des untergegangenen Cardassia, auf dem er sich in Rettungsteams engagiert, in den Ruinen nach Überlebenden Ausschau hält und sich von Zeit zu Zeit in einen kleinen Schuppen am Rande des zerstörten Anwesens von Enabran Tain zurückzieht, um sein kompliziertes Leben Revue passieren zu lassen.

 

Dort zeichnet er einen Großteil der Einträge des zweiten Plots – Kern der Geschichte – auf, die sich mit dem Rückblick auf sein Leben beschäftigen. Hier geht es im Wesentlichen um die Schilderung der gesellschaftlichen Verhältnisse zur Zeit seiner Kindheit und Jugend, seine frühzeitige Rekrutierung für den cardassianischen Geheimdienst und die darauf folgende Ausbildung an der Spionage-Akademie Bamarren, seinen allmählichen Aufstieg im Obsidianischen Orden und eine ziemlich traurige, da unerfüllte Liebe zu einer Frau namens Palandine. Später folgt eine Spionagemission auf Romulus und die Situation, in der er bei seinem Mentor in Ungnade fällt, bis hin zu seiner letztendlichen Verbannung nach Terok Nor.

 

Das in der Schwebe verharrende Verhältnis zu Enabran Tain, der von Anfang eine Rolle in Garaks Leben spielt, die Wahrheit seiner Vaterschaft jedoch hinter einer Lüge verbirgt, ist hierbei ein Schlüsselelement. Bereits früh beschleicht den Jungen das Gefühl, Tain würde die Fäden in seinem Leben ziehen und nicht seine (vermeintlichen) Eltern. Dabei ist gerade das unausgesprochene, verleugnete Vater-Sohn-Verhältnis zwischen Tain und Garak die große Hypothek im Leben des jungen Mannes. Tain, ohnehin von Paranoia in einem intriganten, totalitären Staatswesen zerfressen, lässt sich so sehr vom Pflichtgefühl für seine Welt vereinnahmen, dass er in einem offenen Bekenntnis zu seinem Sohn eine unkalkulierbare Gefahr sieht. Obwohl Garak so einige Male im Leben die Rollen wechseln wird, bis ihm schließlich jene des Schneiders auf DS9 zufällt, wird er das unausgesprochene Leiden niemals los, und nur so lässt sich erklären, wieso er immer wieder derart stark um Tains Zuneigung und Lob gebuhlt hat. Dieses geistige Abhängigkeitsverhältnis machte ihn ausbeut- und instrumentalisierbar. Im Laufe seiner weiteren Jahre wird er Tain zeitweilig sogar verblüffend ähnlich: Auch er beginnt um Dienst- und Pflichterfüllung und vor allem um Tains Anerkennung zu buhlen und stößt dabei an seine inneren Grenzen.

 

Der dritte Handlungsbogen beinhaltet Tagebuchaufzeichnungen im Zeitraum der Invasion des cardassianischen Territoriums durch Sternenflotten- und alliierte Verbände im letzten Kriegsjahr. Sie schildern Begebenheiten auf der Station, Gespräche mit seinen Kameraden von DS9, das Verhältnis zu einer jungen Bajoranerin namens Remara (einer alten Freundin von Tora Ziyal), in die er sich verliebt, und immer wieder Garaks große Sehnsucht nach der Rückkehr in die Heimat. Und doch spricht gerade aus diesem Plot immer wieder der große Zweifel, den er mit seinen Gedanken an die Heimkehr verbindet. Sie leisten gleichsam einer schonungslosen Auseinandersetzung mit seinem frühen Leben Vorschub.

 

Der Roman kreist in seiner Essenz um die Frage, als welche Person sich Garak letztendlich sehen möchte, wo er den Kern seiner Identität nach einem derart zerrütteten, verwirrenden und oft fremdbestimmten Leben verortet. Und das Faszinierende ist, dass er nichts von dem, was er war, zurückweisen möchte. Vielmehr fügt er die Splitter seines Ichs zusammen und erkennt sie als ein Ganzes, was sich in berührenden Passagen niederschlägt: We all - to some degree - contain the memories, traits, fragments of those personalities that came before us. Indeed, perhaps we are even 'joined' in a deeper, more spiritual level. The first Hebitians believed this. Each generation is not only succeeded by the next, it is subsumed by it, so that the past is always present and actively involved in creating the future. So in a sense there is no past and future; there is only the present (Seite 151).

 

Wenn man sich philosophische Anwandlungen wie diese ansieht, so kann eigentlich kein Zweifel bestehen: A Stitch in Time ist eine Perle, prall gefüllt mit Weisheiten, die häufig zwischen den Zeilen liegen, und einer wunderbaren Sprache. Nebenbei verzichtete Robinson nicht, dem Werk ein paar autobiographische Züge anzudichten, wie er selbst in einem Interview zu Protokoll gab.

 

Am Beispiel des nach sieben Jahren bekannten und doch ominösen Schneiders kündet der Roman vom Leben in einer autoritär geführten und zutiefst misstrauischen Gesellschaft die sich in den eigenen Abgründen eines Rausches verloren hat, dessen Symptome gewaltsame, Expansion, Militarismus und Obrigkeitsdenken sind. In einer solchen Gesellschaft gibt es kein Mitgefühl, sondern nur den Zwang zum Funktionieren im Sinne der allgemeinen Losungen und Prämissen. Jeder Einzelne in ihr ist erstaunlich einsam, und deshalb gibt es bloß ein Rezept: Man muss sich innerlich von den Gräueln abschotten, die man im Namen der eigenen Nation zu tun genötigt wird – und um jemand zu sein. Dieses elitäre Gefühl, dieser krankhafte Ehrgeiz, seinem Vaterland einen besonderen Dienst zu tun, erfasst auch Garak früh und trägt seinen Teil zum Entstehen einer Person bei, die sowohl schmeicheln als auch entsetzen kann. Der Verlust einer einstmals einflussreichen Religion in der cardassianischen Gesellschaft ist dabei stellvertretend für das eigentliche Problem zu sehen: Irgendwann verlernte es diese Nation, im Gleichgewicht zu leben, Demut zu üben, sich Idealen zu verschreiben und danach zu streben, besser zu werden als sie ist. Sie wurde zu ihrem eigenen Dämon.

 

Im Laufe des Romans wird nichtsdestotrotz fühlbar, dass Garak längst nicht mehr ohnmächtiger Betrachter seines Lebens ist, sondern eine beträchtliche Stärke und Eigenständigkeit entwickelt – die durchaus auch schon bei seinem Exil beginnt. Seine Liebe Palandine gegenüber steht hierfür ebenso wie die zeitweilige Beschäftigung mit dem Oralianischen Weg, jener verschütteten Spiritualität der cardassianischen Ahnen, die einen Ausweg aus dem nimmersatten Macht- und Mordgelüst eines vergifteten Gemeinwesens in der Union weisen könnte. Garak ist somit bereits in jüngeren Jahren an manchen Stellen (beinahe) bereit, das herrschende System zu hinterfragen, hinter die Fassade zu blicken und eigenen Wertvorstellungen einen Platz einzuräumen. Am langen Ende ist er jedoch machtlos, denn gegen eine ganze imperiale wie soziale Maschinerie kommt er nicht an. Da erscheint in der Retrospektive seine Verbannung nach Terok Nor, unter der er dauernd zu leiden hat, schon fast wie eine Freikarte der besonderen Art.

 

Wenn man dieses Buch gelesen hat, wird man auch eine neue Lesart auf cardassianische Figuren insgesamt entwickeln. Endlich wird es möglich, sie in einem umfassenden Sinn zu verstehen, in ihr Innerstes hineinzufühlen – und im Sinne der Allegorie, die Star Trek sein möchte, überhaupt in eine Vielzahl von Personen, die in undemokratischen, von Misstrauen und Drill vereinnahmten Staaten groß wurden. Mehr noch als das: Garaks Geschichte ist deshalb so mitreißend, weil sie uns eindrucksvoll und erschreckend zugleich vor Augen führt, dass selbst eine herausragende und in sich ruhende Gestalt wie der weise Schneider sich letztlich nur unter großen Mühen lossagen kann von den eigenen Wurzeln.

 

Wir sind alle Kinder unserer Zeit und der Verhältnisse, in denen wir aufwachsen, sozialisiert werden. Doch indem Garak seinen Stich zur rechten Zeit macht, beginnt er sich das einzugestehen – und erfährt Vergebung. Diese Vergebung liegt in den Erinnerungen an seinen falschen Vater Tolan begründet, einem Anhänger der alten hebitianischen Hochkultur, deren Losungen von Frieden und Harmonie die Hoffnung auf ein neues, besseres Cardassia bereithalten. Ausdrucksstarkes Symbol hierfür wird die edosianische Orchidee: Sie verkörpert nicht nur eine wichtige Reminiszenz in Bezug auf Garaks Leben, sondern steht auch für jenen Teil in ihm, der bereit ist, Abschied zu nehmen von der kalten Gesellschaft, in der er groß wurde.

 

Gerade, weil er um seine Vergangenheit weiß, kann Garak am Ende der Geschichte Frieden mit sich machen und zu einem Hoffnungsträger für ein neues, demokratisches Cardassia werden, während andere Cardassianer diesen Neubeginn nicht schaffen. Zum ersten Mal scheinen seine Horizonte offen zu sein, denn sein Leben ist nicht länger an die Entscheidungen Anderer oder höhere Zwänge gebunden. Garak erhebt sich aus der Asche seiner Heimatwelt, und so fällt doch ein besonderes Licht auf diese ruinierte Welt, auf der – gewissermaßen aus der Asche des Gestern – jemand Neues geboren wird. Bei all dem darf sein Freund Bashir (und mit ihm der Leser) Zeuge sein – bestes Rezept für einen bittersüßen Ausklang.

 

 

Fazit

 

Das Buch verbindet gekonnt die vielen losen Fäden von Garaks umwälzungsreichem Leben zu einem organischen Ganzen, aber die Art, wie es das tut, ist noch beeindruckender. Wird die Vergangenheit einer schwer durchschaubaren Figur transparent gemacht, besteht zwar die Gefahr der Entmystifizierung, doch Robinson ist es gelungen, Garak auf eine neue Stufe zu hieven. Dass er sich mit dem Ende seines Exils Bashir ultimativ anvertraut und öffnet, hält etwas Episches und Poetisches bereit. Robinson beweist hier, dass er Garak nicht nur gespielt hat, sondern in den sieben Jahren geradewegs lebte. Es mag vielleicht den einen oder anderen Fan geben, dem es nicht so genehm ist, Garaks Leben gelüftet zu wissen, doch persönlich sehe ich nicht, dass seine Aura hierdurch Schaden nimmt. Nicht in diesem weit fortgeschrittenen Stadium, in dem seine Figur inzwischen angelangt ist.

 

Bestechender noch als die Schilderung der Ereignisse ist die Sprache, die vielen kleinen Geschichten und Lehren in der großen Geschichte, die A Stitch in Time zu einem schweren, schöpferischen Werk machen. Dieses Werk besticht durch die Erkenntnis und das Eingeständnis über eine Gesellschaft voller Selbstverleugnung und sucht damit seinesgleichen.

 

Erst indem Garak die Fetzen eines wechselvollen Lebens voller Bürden und Brüche aufgreift und zum alles entscheidenden Stich ansetzt, ist es möglich, einen wirklichen Neuanfang zu machen. Es ist ausgerechnet der Schneider in ihm, der Garak heilt, weil nur er in der Lage ist, besagte Fetzen zu etwas Neuem, Ganzen zu vernähen. Das neue Kleid ist fertig – und es ist überaus prächtig. Wie es wohl mit Garak weitergehen wird?...

 

9/10 Punkten.

2-2011