The Dark Veil

Autor: James Swallow
Erscheinungsjahr: 2021
Seitenzahl: 340
Band: -

Zeitraum: 2386

 

Vorbemerkung

 

The Dark Veil ist eine Besonderheit: Es handelt sich um ein Titan-Abenteuer im erweiterten Universum von Star Trek: PICARD, d.h. das Buch basiert im Sinne einer Vorgeschichte auf dem in New Trek weitergeführten Kanon. Daher weicht die Titan-Darstellung von der Romanserie ab, spielt sie doch (eingedenk der Erklärungen in Coda) in einer anderen Zeitlinie als das ursprüngliche TNG-Roman-Spin-off. Die Darstellung orientiert sich einerseits am zeitlich entfernten Prequel PICARD, andererseits an dem, was über die Titan, Riker und seine Crew in Lower Decks etabliert wurde (u.a. Übernahme des Schiffsdesigns in den Kanon). Entsprechend werden die Geschehnisse aus der Romanserie nicht berücksichtigt, da sie in dieser Realität so nie stattgefunden haben. Allerdings hat Autor James Swallow, der selbst schon zuvor mehrere Romane der ‚alten‘ Titan-Reihe verfasst hat, einige Ideen und Charaktere symbolisch übernommen. So ist auch hier Christine Vale Erster Offizier und Ranul Keru dient taktischer Offizier, wiewohl sie bis auf die Namen nicht direkt deckungsgleich mit ihren Alter Egos zu sein scheinen. Der wohl deutlichste Ausdruck dafür, dass wir hier in einer anderen Realität unterwegs sind, besteht in der Tatsache, dass Riker und Troi keine Tochter, sondern einen Sohn namens Thaddeus haben (wie in der PICARD-Episode Nepenthe später noch ausgeführt werden wird). Auch die Rahmenhandlung unterscheidet sich signifikant vom Litverse; sie basiert auf der sich anbahnenden romulanischen Supernova-Katastrophe, einschließlich der (2385 abrupt eingestellten) Rettungsmission der Sternenflotte (dies wird ausführlich im PICARD-Prequel-Roman Die letzte und einzige Hoffnung [The Last Beste Hope] geschildert). In The Dark Veil, das ca. ein Jahr nach dem nach dem Rückzug der Föderation aus den Evakuierungsbemühungen sowie dem verheerenden Mars-Anschlag stattfindet, kommt es erneut zur Begegnung mit den Romulanern.

 

 

Inhalt

 

Die Titan transportiert eine Delegation der Jazari zurück auf ihren Heimatplaneten. Dieser liegt in neutralem Raum unweit von romulanischem Gebiet. Seit Jahren hat sie sich um bessere und intensivere Bande zu dem zurückgezogenen Volk bemüht, jedoch nie wirklich Erfolg damit gehabt. Die Jazari wahrten stets Abstand, verhielten sich reserviert und geheimniskrämerisch. Sie zeigten kein Interesse, der Föderation beizutreten, auch wenn dies umgekehrt erwünscht gewesen wäre. Entsprechend wenig ist auch bei diesem diplomatischen Transport für Riker und seine Leute herausgesprungen: Die meiste Zeit über sind die Jazari-Abgesandten in ihren VIP-Quartieren geblieben. Zufällig ist auch ein Mitglied der Titan-Crew Jazari, ein junger Lieutenant namens Zade, der wie seine Spezies insgesamt als verschlossen gilt, aber stets außerordentlich höflich auftritt. Nun ist er überraschend von seiner Regierung in seine Heimat zurückbeordert worden.

 

Im entsprechenden Sonnensystem angekommen, stellt die Crew der Titan fest, dass die Jazari mit den Ressourcen ihrer Welt ein gigantisches Generationenschiff gebaut haben, das ihr gesamtes Volk in eine entlegene Region des Alls bringen soll. Wie es ein wenig ominös heißt, fühlen sich die Jazari angesichts der stark verdüsterten und spannungsgeladenen politischen Großwetterlage nicht mehr wohl, nicht mehr willkommen, und möchten in der Ferne einen Neuanfang machen.

 

Doch kurz vor dem Start des urgewaltigen Schiffes kommt es in einer Jazari-Rohstoffgewinnungsstation im planetaren Orbit zu einem verheerenden Unfall, wobei ein jäh expandierender Subraumriss geschaffen wird, welcher nicht nur die Jazari, sondern auch die umliegenden Sektoren bedroht. In der Notlage versucht die Titan, eine statische Warphülle zu erschaffen, um eine größere Katastrophe zu verhindern, was nur dank der Hilfe des romulanischen Warbirds Othrys gelingt, welcher zur Unterstützung heraneilt. Die vom besonnenen Commander Medaka kommandierte Othrys hat sich eigentlich auf einer Erkundungsmission befunden, um kolonisierbare Welten zu finden, auf die weitere Bürger in Anbetracht der absehbar ausbrechenden Supernova umgesiedelt werden können. Der kombinierte Einsatz hat schließlich Erfolg, doch die Titan wird während des Vorfalls ernsthaft beschädigt, und die Jazari ermöglichen während der Reparatur die Evakuierung eines Teils der Besatzung auf ihr Generationenschiff.

 

Medaka zeigt sich – anders als seine vom Geheimdienst Tal Shiar abgestellter Erste Offizier Major Helek – auch in weiterer Folge sehr kooperativ und bietet den Jazari an, ihr infolge des Unfalls angeschlagenes Schiff durch eine von Plasmastürmen heimgesuchte Region zu führen, da die romulanischen Karten besonders präzise sind. Diese Reise muss die Titan ein Stück weit wohl oder übel mitmachen, wollen doch die Jazari nicht länger warten, und während der Dauer der Reparaturarbeiten verbleibt ein beträchtlicher Teil der Crew in den Habitatkuppeln des Jazari-Raumers. Dorthin sind auch Thaddeus Troi-Riker und seine Mutter Deanna Troi transferiert worden.

 

Während der Reise durch das Sturmgebiet machen sowohl Thad als auch die stets misstrauische Tal Shiar-Spionin interessante Entdeckungen auf dem Generationenschiff. Zum einen wäre da eine ungewöhnlich hohe Anzahl von syntehtischen Komponenten und Drohnen, die ständig im Hintergrund präsent sind. Dann sind da noch ungewöhnliche Messungen positronischer Aktivität, die auf das Vorhandensein hochentwickelter künstlicher Intelligenz hinweist. Das ist es, wonach Helek besonders Ausschau hält, die sie in Wahrheit dem Zhat Vash angehört, einer fanatischen Sekte, die alles intelligente synthetische Leben aufgrund einer Prophezeiung ausradieren möchte.

 

Äußerst hellhörig, verdächtigt Helek die Jazari, Androiden an Bord ihres Schiffes zu verstecken, und sie beschließt nach Rücksprache mit ihrem Orden, aktiv zu werden. Daraufhin dringt sie mit einer Gruppe ihrer Mitverschwörer in das Generationenschiff ein, wo sie einen jazari‘schen Techniker entführt. Helek foltert diesen grausam, ehe es ihm gelingt, sich zu befreien, letztlich aber von der Tal Shiar-Gruppe getötet werden kann. Dabei stellt sich heraus, dass der Entführte selbst ein synthetisches Wesen ist. Helek erkennt, dass alle Jazari offenbar fleischüberzogene, massiv fortschrittliche Androiden sind.

 

Helek sucht ihren Commander auf. Als Medaka sich weigert, ihrer Behauptung zu glauben, dass die Föderation mithilfe der Jazari plane, romulanische Welten anzugreifen, beschuldigt Helek ihn, ein Verräter zu sein. Mithilfe ihrer Verbündeten an Bord des Warbirds meutert sie und übernimmt das Kommando. Helek befiehlt, die Jazari anzugreifen. Ihr Ziel besteht nun zweifellos darin, das Generationenschiff und alle Lebewesen darin auszulöschen. Helek hat auch bereits Verstärkung herbeibeordert, um den beabsichtigten Völkermord kraftvoll in die Tat umzusetzen…

 

 

Kritik

 

Der Roman erzählt zugleich eine Vorgeschichte zur ersten PICARD-Staffel als er auch ein Einzelabenteuer der Titan bereithält. Im vorliegenden Fall sitzt Riker in der Gegenwart vor einem romulanischen Tribunal, und die Geschehnisse der letzten Woche werden in einer großen Rückblende erzählt, was dem Spannungsbogen guttut.

 

Im Grunde handelt es sich um ein relativ typisches Szenario eines Sternenflotten-Schiffes, das einer notleidenden Bevölkerung zur Hilfe eilt. Das ist allerdings nur der Ausgangspunkt der von James Swallow sehr zügig und stringent erzählten Geschichte, die dann einige überraschende Dinge über die Jazari enthüllt. Diese stehen in einem dichten Kontext mit dem, was in der ersten PICARD-Staffel dominierender Inhalt sein wird: die Thematik künstlichen Lebens und seiner Entwicklungsmöglichkeiten, die Verschwörung und der Fanatismus des Zhat Vash, jene Tal Shiar-Fraktion, die in künstlicher Intelligenz aus ihrer ideologischen Sicht als „Zerstörer“ wahrnimmt. Zugleich gibt es hier eine kleine Vorgeschichte für die Familie Troi-Riker.

 

Swallow hat gekonnt einen charakterlichen Dualismus mit Blick auf die beiden wichtigen Romulaner in der Story eingebaut. Zum einen sehen wir den Fanatismus des Ersten Offiziers der Othrys. Helek vereint in extremer Weise alles, was an negativen Vorstellungen über die Romulaner existiert. Sie ist dabei selbst ein Opfer ihrer extremen Ansichten und eindeutig indoktriniert worden. So sehen wir immer wieder, wie Helek versucht, andere mit ihrer wahnhaften Paranoia zu vergiften und zum Erreichen ihrer Ziele durch und durch skrupellos vorgeht. Ihr Gegenpol ist Commander Medaka. Dieser macht durchaus gewisse Anleihen beim ikonischen, von Mark Leonard verkörperten ersten romulanischen Kommandanten, gegen den James Kirk in Spock unter Verdacht antrat (was dadurch verstärkt wird, dass er selbst Vorfahren im Irdisch-Romulanischen Krieg hatte, ebenso wie Riker). Der Konflikt zwischen Medaka und Helek ist von Beginn angelegt und die Eskalation mag somit nicht überraschend kommen, aber es gelingt Swallow dennoch, den Machtwechsel auf der Othrys glaubhaft zu schildern. Denn oberflächlich betrachtet würde man den Putsch des Ersten Offiziers als recht plump erachten. Aber da Swallow den anderen Brückenoffizieren des Warbirds vorher schon viel Beachtung schenkte und beschrieb, in welche Rollen sie sich im Rahmen der romulanischen Gesellschaft fügen und welchen Konventionen sie sich unterwerfen mussten, funktioniert dieser Part der Geschichte. In gewisser Weise werden wir hier Zeuge, wie die Romulaner Opfer ihrer eigenen, kulturell tradierten Prädispositionen werden, und das beutet ein durchtriebener Tal Shiar-Agent schonungslos aus. (Interessant ist, nebenbei erwähnt, auch, mal eine für romulanische Verhältnisse recht multikulturelle Crew zu sehen.)

 

Die Gespräche zwischen Riker und Medaka sind so etwas wie kleine Höhepunkte des Buches, denn sie weisen andeutungsweise einen Weg, wie das lange Misstrauen zwischen Föderation und Romulanern überwunden werden könnte. Medaka zu sehen, wie er abgewogen und sogar selbstkritisch auf die zurückliegenden Ereignisse (Bekanntwerden des bevorstehenden Sterenentods, Hilfe der Föderation, Einstellung der Rettungsmission nach der Androiden-Revolte) blickt, ist ein wohltuender Kontrast zu so viel romulanischer Dunkelheit der Seele. Medaka ist dabei natürlich Patriot und liebt sein nun am Abgrund stehendes Imperium, aber er ist klug, reflektiert und eigenständig. Er kommt zu unabhängigen Urteilen und ist nicht von Hass, Propaganda, Ressentiment und Verfolgungswahn geleitet. Damit demonstriert er eindrucksvoll, dass es auf der romulanischen Seite sehr wohl diejenigen gibt, mit denen eine Verständigung möglich ist. (Nicht umsonst entpuppt sich Medaka als ein Schlüssel zur Lösung dieser Krise.) Umso tragischer ist deshalb, wie verkorkst die Beziehung zwischen Föderation und Romulanern nach all den Jahrhunderten ist und wie wenig zwei Männer wie Riker und Medaka am Ende mit Blick auf die gesamtpolitische Lage erreichen können. Diese letztendliche Ohnmacht angesichts größerer Entwicklungen und das Bedauern darüber verarbeitet das Buch exzellent. Immer wieder gibt es Passagen, in denen insbesondere Riker sich fragt, wie die Föderation derart falsch abbiegen konnte. Gerade in diesen stillen Reflexionssequenzen zeigt sich, wie bewegend und auf den Punkt Swallow schreiben kann.

 

Thad sorgt im Buch für die eine oder andere kurzweilige Szene. Seine Momente mit seiner Mutter wissen zu gefallen; sie knüpfen ebenfalls hervorragend an Nepenthe an, wo er leider nicht mehr am Leben ist. Mit ihm habe ich aber ein wenig das Problem, dass er zu erwachsen und reflektiert wirkt. Selbst wenn man in Rechnung stellt, dass er eine eindeutig hochbegabte Person ist, ist das Ausmaß seines Gedanken-, Fantasie- und Sprachreichtums doch etwas zu groß für jemanden, der auf keinen Fall älter als fünf oder sechs Jahre sein kann.

 

Die Geschichte liefert eine ganze Reihe von wertvollen Referenzen und Hintergrundinfos. Als Riker und Troi die wahre Natur der Jazari erfahren, wird eine sichtliche Verbindung zur TOS-Folge Der dressierte Herrscher hergestellt. Wie auch die Androiden von Harry Mudd wurden die Jazari offenbar vor langer Zeit von der Andromeda-Galaxis aus entsandt; sie wurden zur Erforschung geschickt (eigentlich gar nicht so anders als die Sternenflotte durch das All fliegt) und nahmen, nachdem sie heimlich andere Gesellschaften beobachtet hatten, die Identität eines humnaoiden Volkes mit gewissen Alibi-Eigenschaften an, um sich möglichst frei bewegen zu können. Wie wir erfahren, haben die Jazari im Laufe der letzten einhundert Jahre zunehmend gehofft, dass sie sich der Föderation eines Tages offenbaren, ja dass die Föderation ein neues Zuhause für sie werden könnte. Doch der jüngste Bann androiden Leben – streng genommen eine Eliminierung einer ganzen Kategorie von Lebensformen – hat das Bild der Jazari von der Planetenallianz erschüttert und ihre Hoffnungen zunichtegemacht. Dadurch ist ihnen bewusst geworden, dass sie in diesem Teil der Galaxis nicht akzeptiert werden würden, weil Ängste und Misstrauen zu massiv sind. Daher haben sie beschlossen, in die Andromeda-Galaxis zurückzukehren und an den Ursprung ihrer Schöpfung zurückzukehren. Die Föderation hat also die Jazari, die sie beständig beobachteten, gewissermaßen in den Exodus getrieben, im Zuge dessen sie beinahe ausgelöscht wurden.

 

Die Jazari-Thematik sieht bei einigem Nachdenken wie ein Kollateralschaden des Irrwegs aus, den der einstmals so integre interstellare Völkerbund mit Blick auf ihre Haltung zu künstlichem Leben eingeschlagen hat. Auch hier zeigt die klug gebaute Geschichte eine tiefsitzende Tragik. Die Föderation mag noch vom idealistischen alter Tage zehren, aber durch folgenschwere Fehler ist sie ihrer Verantwortung und Vorbildfunktion in keiner Weise gerecht geworden. Dessen sind sich Riker und Troi vollends bewusst, und sie geben den abreisenden Jazari das Versprechen, ihr Geheimnis für sich zu behalten. (Das ist auch deshalb ein guter Kniff des Autors, weil sich damit die Frage erledigt, wieso eine derart folgenschwere Begegnung mit extrem fortschrittlichen Androiden in PICARD nie Erwähnung gefunden hat.)

 

Wir bekommen im Laufe der Geschichte verschiedene Zusatzinfos rund um die Rettungsmission bzw. was danach geschah, was zwar eher Details sind, aber trotzdem hilft, das Gesamtbild zu vervollständigen:

  • Wir hören, dass die Klingonen nur „Sterbt gut, Romulaner“ auf ihr Hilfeersuchen gesagt haben (so erzählt es Medaka). Das ist harter Tobak gemessen daran, dass immerhin die Romulaner auch Seite an Seite mit Föderation und Klingonen gegen das Dominion gekämpft haben.
  • Wir erfahren dass die Titan bei Picards Rettungsmission ein Jahr half. Offenbar stieg sie ab 2382 ein und leistete in diesem Fall eine Menge an Unterstützung.
  • The Dark Veil gibt Auskunft wie sich die Beziehungen zu den Romulanern seit TNG entwickelt haben. Es unterstreicht, dass es absurderweise das abrupte und hässliche Ende der Sternenflotten-Rettungsmission war, durch die die Beziehungen dramatisch schlechter wurden, und zwar weil bei den im Stich gelassenen Romulanern eine Menge Vorurteile über ihren alten Feind bestätigt wurden.
  • Wir erfahren, dass Riker und einige andere Captains eigenmächtig Hilfsgüter auf verschiedenen Grenzwelten deponierten, um zumindest ein kleinwenig Hilfe zu leisten. Es mag zwar nur ein Tropfen auf den heißen Stein sein, doch zeigt dies, dass der Rückzugsentschluss von der Hilfsmission in der Föderation nicht völlig unumstritten war.

 

 

Fazit

 

The Dark Veil ist eine nahezu makellos konstruierte und schreiberisch hervorragend verfasste Geschichte der Titan im Prä-PICARD-Kosmos. Einerseits handelt es sich um ein für sich stehendes Abenteuer, andererseits wird im Sinne einer Art Vorschau auf die neue Serie mit vielen wichtigen Elementen selbiger jongliert und damit eine Menge Foreshadowing betrieben. Zugleich ist es Swallow gelungen, mit vielen kleinen Hintergrundinfos einen gelungenen Brückenschlag zwischen dem 1990er Jahre Trek und der neuen PICARD-Ära zu vollführen. Obwohl der Roman eine spannende Raumschlacht zu bieten hat, war es eine kluge Entscheidung, dass Swallow sich auf die jeweiligen Ereignisse auf den beteiligten Schiffen stärker konzentriert als auf reines Actiongewitter.  

 

8/10 Punkten.

2-2024