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Es ist nicht lange her, da ist die Föderation haarscharf an einer selbst verschuldeten intergalaktischen Krise vorbeigeschrammt. Hinter den Kulissen stationierte der damalige Präsident Min Zife während des Dominion-Kriegs (über das Orion-Syndikat) Massenvernichtungswaffen auf der blockfreien, diktatorisch regierten Welt Tezwa (vgl. TNG-Roman A Time To Kill). Als der Potentat Kinchawn Jahre später diese Pulskanonen unerwartet gegen eine klingonische Flotte zum Einsatz brachte, musste die Sternenflotte schnell und unter der Hand agieren, um die Wahrheit über die Hochrüstung Tezwas durch die Föderation zu verschleiern, den Frieden mit den Klingonen und nicht zuletzt ihren guten Ruf zu bewahren. Kurz darauf dankte Zife ab, und im Zuge von Neuwahlen kam die ehemalige Gouverneurin von Cestus III, Nanietta Bacco, an die Macht (vgl. TNG-Roman A Time for War, A Time for Peace).
Es bleibt kaum Zeit, den Sieg auszukosten. Denn wie es scheint, stehen der frisch gewählten Staatschefin der Planetenallianz stürmische Zeiten ins Haus – innen- wie außenpolitisch: Im Föderationsrat herrschen Grabenkämpfe und Intrigen, ökonomische Spätfolgen des vier Jahre zurückliegenden Dominion-Kriegs wollen beseitigt und neue, heikle Erstkontaktmissionen politisch begleitet werden. Vor allem aber gilt es, das immer mehr ins Chaos abrutschende Romulanische Sternenimperium zu stabilisieren…und einem möglichen Krieg zwischen Romulanern und Klingonen zuvorzukommen.
Articles of the Federation ist nun die Erzählung rund um Präsidentin Bacco in ihrem ersten Amtsjahr. Um den labilen Frieden im All zu bewahren, das zeichnet sich rasch ab, erfordert es einen starken Staatslenker, doch Bacco hat die Wahl als Außenseiterin gewonnen, und das politische Establishment der Föderation steht ihr oft reserviert, teils sogar ablehnend gegenüber. Bacco zudem ist die Art von politischem Geschäft nicht gewohnt, in dem man parallel mit einem Dutzend Bälle jonglieren muss und niemals offen sagen darf, was man denkt. So wird jeder ihrer Schritte zum Drahtseilakt, jeder Ausrutscher auf dem glatten diplomatischen Parkett könnte das Ende ihrer Präsidentschaft bedeuten…und noch weit Schlimmeres…
KritikEs gibt mehrere wiederkehrende Ereignisse in diesem Jahr, die der rote Faden der Handlung sind und Präsidentin Bacco ständig beschäftigen. Diese haben in außenpolitischer Hinsicht zu tun mit den Nachwehen und Spätfolgen des Dominion-Kriegs und der im ersten Titan gelegten Befreiung der Remaner, innenpolitisch mit Baccos ersten Schritten im ihr fremden und mit ihr fremdelnden VFP-Administrationsapparat. Hier geht es um die Besetzung neuer Posten, um das Lösen von festgefahrenen Konflikten im Rat und dergleichen mehr.
Autor DeCandido gibt sich alle Mühe, die Welt der Föderationspolitik aus Sicht der Neueinsteigerin Bacco glaubwürdig zu schildern: Er führt Ratssitzungen, diplomatische Verhandlungen, Sticheleien, Ränkespiele und das sprichwörtliche Täglichbrot des Präsidenten vor. Gerade in letzterem besteht der eigentliche Reiz des Buches, denn ein so gewaltiger Politikapparat wie die Föderation wird niemals nur an einer Front kämpfen, sondern mit einem Haufen kleinerer Probleme gleichzeitig klarkommen müssen. Zudem wird auch immer wieder die ganz normale Bevölkerung in seine Darstellungen einbezogen.
Zweifellos: Der Ansatz, den DeCandido verfolgt, ist nicht alltäglich. Er hat das Potenzial einer echten Innovation. Denn Star Trek zeichnete sich stets dadurch aus, dass es fernab der Erde spielte. Jetzt einen Blick in die Schaltzentrale der viel gerühmten Föderation zu riskieren, hat seinen Reiz. Die Zeit, diesen Blick zu riskieren, ist angesichts der Ereignislage, die vor allem in Taking Wing entwickelt wurde, günstig. Also: Keine Schlachten zwischen Raumschiffen und fremde Aliens, dafür aber politisches Machtgewitter und Intrigen in der Regierung der Föderation. Kann so ein Konzept überhaupt scheitern?
Ob man es glaubt oder nicht: Articles of the Federation ist eine herbe Enttäuschung, legt eine ordentliche Bauchlandung hin. Erinnert sich noch jemand an die anklagenden Worte von Ahdar Ru’afo im neunten Kinofilm Insurrection? Er sprach von „Föderationsverfahren“ und „Föderationsregeln“ und Feinden, die „den Geruch des Todes der Föderation“ wittern. Damals wussten wir ja noch nicht, wie recht er haben könnte. DeCandidos Buch führt uns eine Föderationspolitik vor, in der unablässig gestritten wird, nein, in der sogar gelogen wird bis sich die Balken biegen und wo es offenbar nur wenig natürliche Loyalität und Respekt der einzelnen Mitgliedswelten gibt. Wir sehen Institutionen, die trotz ihrer jahrhundertelangen stolzen Tradition zeitweilig kaum in der Lage sind, miteinander zusammenzuarbeiten. Politiker, die sich gegenseitig wie die Kesselflicker zanken. Wie in Dreiteufelsnamen kann die VFP so lange so erfolgreich gewesen sein? Die Frage kam mir jedenfalls. Und die Antwort, dass Streit produktiv sein kann, lasse ich nicht gelten. Diese Auseinandersetzungen, die uns DeCandido vorführt, sind es nicht, sondern zeugen von politischer Unreife.
Vor allem die glorreiche Nanietta Bacco kann mich nicht überzeugen. Seiteneinsteigerin, noch unerfahren, eine Frau der Überzeugungen, schön und gut. Aber sie verhält sich zuweilen so, als hätte sie nicht einmal eine Idee davon, was es heißt, Kompromisse einzugehen. Stattdessen viele schlaue und belehrende Sprüche, die kaum darüber hinwegtäuschen können, dass ihre arme Stabschefin die Dinge wieder mal ausbügeln muss. Überhaupt scheint mir Bacco wie ein stereotyper Abklatsch Kathryn Janeways: stolz und freiheitsliebend. Was jedoch mit gelegentlicher Rambopolitik auf einem verschollenen Raumschiff im Delta-Quadranten funktioniert hat, muss in den ehrwürdigen Politikhallen des interstellaren Völkerbundes zwangsläufig schief gehen. Bacco ist wahrlich keine Person mit natürlicher Autorität, trotz ihres ehrwürdigen Alters.
Ganz nebenbei bemerkt: Wen interessiert es, ob Bacco - anders als die Vorgänger - Gardinen im Büro hat, ob sie einen alten Schreibtisch wieder hat aus der Mottenkiste holen lassen oder ob der Transporter ausgefallen ist, wer welchen Eistee in welchem Aggregatzustand genießt, wie welcher Konferenzraum heißt und wo nur das Brücke über einen Teich mit Seerosen-Gemälde dieses Mal aufgehängt wurde? Wer will hören, in welchem Jahr welche Konferenz über welches Gesetzesdetail abgehalten wurde und welche Zwistigkeiten zwischen an und für sich völlig unbedeutenden Ratsmitgliedern bestehen? Das bläht den Roman ordentlich auf, wider alle Sinnhaftigkeit.
Noch schlimmer als die vielen platten Phrasen der Präsidentin, ihre wiederkehrende, seltsame Faszination für das Thema Baseball und das viele Belanglose ist jedoch das, was auf den ersten Blick eigentlich interessant anmutete: die Handlung der zahlreichen kleinen Geschichten. Sie funktioniert nicht. Das liegt vor allem daran, dass die Einzelereignisse, derer DeCandido sich bedient, um die Aktivitäten im Palais de la Concorde zu beleuchten, größtenteils stinklangweilig sind. Ein alter Ionenfrachter mit einigen vermeintlich Asyl suchenden Remanern, der dahinplätschernde Erstkontakt mit einer neuen Spezies, die offizielle Aufdeckung der (dem Leser längst bekannten) Tezwa-Verschwörung, die Notoperation an einem Tzenkethi-Kind…
Das alles sind wohl kaum die Beispiele, an denen sich besonders tolles Regierungshandwerk demonstrieren lässt. Wie die Faust aufs Auge passt dazu, dass DeCandido in seiner Zeitraffer-Erzählung über das Jahr 2380 hinweg mal eben die beiden Borgkrisen des Jahres überspringt (vgl. TNG-Romane Resistance und Before Dishonor), während derer man vielleicht ein wenig Staatskunst von Bacco hätte erleben dürfen. Aber leider wird nichts daraus, weil Before Dishonor erst zwei Jahre später erschien und die Planung bzw. die Abstimmung zwischen den Autoren offenbar nicht funktioniert hat. Weiteres Eingehen auf eine zunehmend dünnbodige Erzählung, die im Hinblick auf ihre politischen Implikationen irgendwie im Nichts verpufft, spare ich mir an dieser Stelle.
Stattdessen möchte ich auf das zu sprechen kommen, was ich am Ende wirklich schade an Articles of the Federation finde, gerade weil die Grundidee für den Roman so gut war. Die Darstellung des Politikbetriebs in der Föderation des 24. Jahrhunderts sehe ich äußerst zwiespältig: Einerseits streckt sehr viel Leben drin, wenn man all die Intrigen und Spannungsverhältnisse zwischen Präsidentin, Föderationsrat und anderen Kräftefeldern der Planetenallianz bedenkt. Da hat sich der Autor in jedem Fall Mühe gegeben, die Reibungen kenntlich zu machen. Andererseits ist eben das mit die größte Schattenseite der politischen Zukunftsvision, die uns DeCandido beschert: Der Autor wirbelt zwar in bester Manier mit Ereignissen aus Serien und Büchern, Querverbindungen und dem ganze Who-is-who (sodass man zeitweilig fast ein schlechtes Gewissen bekommt, was einem alles an Details entgangen ist), doch das darf keine Entschuldigung dafür sein, dass das Wesentliche, was man als Star Trek-Leser erwartet, in keinster Weise vorkommt: Von einer utopischen, moralisch geläuterten Föderation, von einer „weiterentwickelten Sensibilität“, wie es Picard einst ausdrückte, ist nur herzlich wenig anzutreffen.
Vielmehr wirkt es, als hätte jemand die US-Administration in ein Zukunftsszenario gekippt, denn in vielerlei Hinsicht ist die Bacco-Behörde ein authentischer Aufguss amerikanischer Politik, ihrer PR-Inszenierungen und diplomatischen (Täuschungs)Manöver. Alles ist dabei: Kitschige Feiertage und Militärtraditionen, eine nahezu lächerlich wirkende JAG-Abteilung der Sternenflotte, Politainment-Talkshows nach bestem Jerry Springer-Vorbild, ja selbst sexuelle Beziehungen in höheren Etagen (Bill Clinton lässt grüßen!). Hinzu kommen verbale Anspielungen auf Geldwirtschaft und monetäres Denken, was im 24. Jahrhundert beides längst der Vergangenheit angehören müsste. Absolutes No-go.
Verstehen Sie mich nicht falsch, liebe Leser: Es gibt fantastische Bücher über politische Auseinandersetzungen im Star Trek-Universum, die zum Beispiel im Rahmen der Lost Era-Reihe behandelt worden sind. Aber da ging es um Klingonen, Romulaner, Cardassianer - Völker, die im Star Trek-Kosmos jedenfalls in Teilen für das stehen, wie wir Menschen heute sind. Im Fall der Föderation müsste es aber einen deutlichen Kontrast geben. Der Mythos kann doch nicht einfach nur heiße Luft sein. Wenn dann noch die Rahmenhandlung nicht überzeugen kann, gibt es jede Menge Schatten und nur wenig Licht. Bedauerlicherweise ist genau dieser Fall eingetroffen.
FazitDie Idee ist gut, der Rest leider nicht. Der erste Politthriller im Star Trek-Universum verschenkt die Chancen, die sich ihm bieten. Er überschüttet uns mit Intrigen und Belanglosem, noch mehr aber mit einer uninspirierten Handlung und klischeehaften Charakteren, allem voran einer fragwürdigen neuen Präsidentin.
Hinzu kommt, dass Articles of the Federation bei seinen Ausführungen über das politische System der VFP jenen utopischen Geist sträflich vermissen lässt, der Star Trek seit jeher auszeichnet. Vielmehr erinnert der Roman an die kitschig-amerikanische Politserie The West Wing. So frage ich mich: Warum muss ich mich mit Politik in fernen Jahrhunderten herumschlagen, wenn die doch fast genauso zu sein scheint wie die von heute? Warum bin ich überhaupt Star Trek-Fan geworden? Der Roman jedenfalls kann diese entscheidenden Fragen nicht beantworten.
3/10 Punkten. 6-2012 |
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