VorbemerkungHeute, da der TNG-Relaunch in vollen Zügen angebrochen ist, lässt sich Death in Winter rückwärtig einschätzen – als so etwas wie ein Übergangsroman. Denn eigentlich ist er angesichts seiner protagonistenzentrierten Handlung und der zeitlichen wie storytechnischen Distanz zu Resistance mehr eine erklärende Vorgeschichte denn eine Fortsetzungsgeschichte für die so genannte Second Decade.
InhaltJean-Luc Picard scheint seine besten Tage als Captain hinter sich zu haben. Nach dem Shinzon-Zwischenfall vor ein paar Wochen hat ein Großteil der Crew die nach wie vor im Dock liegende Enterprise-E verlassen. Auch die meisten seiner Führungsoffiziere und engsten Freunde weilen nicht mehr an Bord, abgesehen von Geordi La Forge und dem Klingonen Worf, der sein heimatloses Heil vor einer Weile wieder auf der Enterprise fand. Der Verlust des Androiden Data bleibt eine zusätzliche schwere Hypothek.
Picard ist – verständlicherweise – in einer melancholischen Stimmung, seine Leute schließlich verloren zu haben; auch und vor allem, was sein nie gänzlich geklärtes Verhältnis zu Beverly Crusher anbelangt, welche nun auf der Erde tätig ist. Nicht umsonst treiben ihn Erinnerungen an ihre gemeinsame Vergangenheit mit Jack Crusher um, an die Hochzeit von Jack und Beverly, auf die er als Trauzeuge mit einem tief vergrabenen Geheimnis eingeladen worden war.
Indes erfährt der Leser, dass das Romulanische Sternenimperium, so wenige Wochen nach dem Tode Shinzons, zwar mit Tal’Aura schon über eine neue Prätorin verfügt (sie unterstützte Shinzon einst und witterte schließlich selbst Oberwasser) -, aber innenpolitisch weit von stabilen Zuständen entfernt ist: Überall in imperialen Territorien, vornehmlich in den Randgebieten, brechen Aufstände und regelrechte Rebellionen aus, zurückgehend auf Separationsbewegungen unterdrückter Völker. Lange genug befanden sie sich im Würgegriff romulanischer Zentralgewalt und wittern nun die Chance auf Freiheit, vergleichbar vielleicht mit dem Zerfall der Sowjetunion.
Doch die Schneise des internen Konflikts zieht sich nicht nur durch koloniale Breitengrade des Imperiums, sondern auch geradewegs durch die romulanische Führung. Dabei stehen Tal’Aura und ihr gewiefter Stellvertreter Tomalak auf der einen, Commander Donatra und Admiral Suran als Vertreter eines nicht unerheblichen Teils der imperialen Flotte auf der anderen Seite. Donatra nämlich ist die stärkste Sympathisantin der Rebellen auf der romulanischen Grenzwelt Kevratas, mit deren Anführer Braeg sie eine geheime Liebesbeziehung verbindet. Auge um Auge, Zahn um Zahn: Wer sich zuerst bewegt im Imperium, ist tot.
Eines Tages entsendet die Sternenflotte Beverly Crusher undercover nach Kevratas, wo eine tödliche Seuche um sich greift. Sie soll im Rahmen ihrer verdeckten Mission ein Heilmittel finden. Das Oberkommando handelt dabei nicht nur aus reinem Gutmenschentum, sondern auch und vor allem, weil es sich verspricht, die Sympathien der krisengebeutelten Kevratianer für die Föderation zu wecken. Kaum ist Beverly auf Kevratas eingetroffen, nimmt das Unheil seinen Lauf: Sie gerät in die Fänge romulanischer Truppen und wird als Spionin der Föderation festgesetzt - von keiner Geringeren als der durchtriebenen Sela.
An Bord der Enterprise wird Picard darüber in Kenntnis gesetzt, dass Beverly sich seit mehreren Tagen nicht mehr bei der Sternenflotte gemeldet hat und möglicherweise tot ist; diese Aussicht kann und will er nicht akzeptieren. Picard erhält vom Oberkommando den Auftrag, einen anderen Mediziner nach Kevratas einzuschleusen, der Crushers Arbeit fortsetzen soll. Man will ihm aber auch den Freiraum lassen, nach ihr zu suchen.
Da die Enterprise im Gefolge der zurückliegenden Schlacht im Bassen-Bruch alles andere als einsatzfähig ist, gibt die Sternenflotte ihm ein alternatives Reisemittel: das zivile Frachtschiff Annabel Lee unter dem Kommando seines alten Stargazer-Kameraden Pug Joseph. Begleitet wird er neben Joseph und dem benannten Arzt – Carter Greyhorse (ein nicht ganz sündenfreier Geselle!) – von einem Romulaner namens Decalon, der beizeiten zur Föderation übergelaufen ist und selbst eine Weile auf Kevratas gelebt hat.
Mit dem Abflug Richtung Neutrale Zone beginnt für Picard ein Wettlauf gegen die Zeit – und mit ihm die Erkenntnis, dass es dringender denn je ist, sich zu seinen wahren Gefühlen für Beverly Crusher zu bekennen…
KritikEin Buch von ganz eigenartiger Konsistenz hat Michael Jan Friedman da abgeliefert. Denn streng genommen ist Death in Winter kein eindeutiger Auftakt für einen Relaunch, sondern eher so etwas wie ein Nachtrag zu TNG mit eigenem Kontext. Gleichzeitig ist es auch eine verkappte Fortsetzung der Stargazer-Reihe, sieht man einmal auf Picards Begleitung an Bord der Annabel Lee. In erster Linie aber ist es die Geschichte einer verschütteten Liebe. Und das macht den Roman, trotz manch erheblicher Mängel, zu etwas Besonderem. Es ist ein gutes Zeichen, dass man bei Pocket Books offenbar jenen Mut gefasst hat, den die Produzenten der TV-Serie anno dazumal nicht aufbrachten: Picard und Beverly eine Zukunft zu geben, selbst, wenn es bedeutet, den in Nemesis angedeuteten Weggang der Ärztin wieder zurückdrehen zu müssen.
Damit setzt das Buch von vorneherein klare Prioritäten und verspielt sein Inspirationskapital nicht in Belanglosigkeit. Einerseits liegt der Charakterfokus ausschließlich auf der Konstellation Picard-Beverly, was durch die Flashbacks trefflich untermauert wird, wo man so viel wie selten zuvor über die Vergangenheit dieser beiden Figuren erfahren darf. Andererseits wird die persönliche Problematik sehr schön in den Hintergrund der politischen Wirren im romulanischen Reich integriert, was abermals durch die Rückblenden vorbereitet wird.
Das Machtvakuum, das der Putschist Shinzon hinterließ, hat Intrigen, Mord und Todschlag freigesetzt: Verschiedene romulanische Fraktionen buhlen um die Macht. Nebenbei gesagt ist es schön, dass die Remaner diesmal außen vorbleiben. Die Auflösung des Romans in die sich gewahr werdende Liebe zwischen Picard und Beverly – ein lang überfälliger Prozess – lässt es einem richtig warm ums Herz werden (wobei ich mich doch zeitweilig fragte, was eigentlich aus Anij aus Der Aufstand geworden ist?) und die zuweilen kitschigen Anwandlungen verzeihen.
Speziell der Ausklang des Buches, als die Rebellen es schaffen, eine Seuche aus der Taufe zu heben, die Romulaner infizieren kann und die sich auf dem Weg nach Romulus befinden könnte, ist weitgehend geglückt. Hier winkt möglicherweise eine Fortsetzung, die Death in Winter einen größeren Zusammenhang verleihen könnte. Demgegenüber ist der Verlauf der Kevratas-Handlung zwar spannend und actionlastig, ganz sicher aber nicht überoriginell, da gravierende Schnitzer in der Story stecken. Die grundlegende Irrlogik, wieso Beverly sich erst vierzig Jahre später aufmacht, eine Seuche zu heilen, von der sie als Mädchen erfuhr, verpasst Death in Winter einen ordentlichen Glaubwürdigkeitsdämpfer. Ebenso ist ganz und gar unverständlich, weshalb die Bewohner von Kevratas der offenbar schon so lange wütenden Seuche nicht erlegen sind. So schlimm kann sie dann doch nicht sein.
Ein paar der überhaupt sinnresistentesten Szenen darf man bestaunen, wenn es um Geordi und Worf geht. Während ihr Captain schon längst über alle interstellaren Berge ist, sitzen der Ingenieur und der Klingone auf der Enterprise und versuchen verzweifelt zu rekonstruieren, wo Picard hingeflogen sein könnte. Wie schade, dass sie niemanden kennen, der ihnen eine Auskunft erteilen will. Geordi und Worf scheinen nicht mehr ganz so gut angebunden zu sein wie früher. Und als sie Picards Aufenthaltsort schließlich doch herausfinden, macht ihnen Admiral Janeway einen Strich durch die Rechnung. Dumm gelaufen. So reißt dieser Handlungsbogen in der Mitte des Buches dann auch einfach ab. Der Verdacht liegt nahe, dass hier ein paar Seiten auf die Schnelle gefüllt werden wollten. Persönlich hätte ich es schöner gefunden, etwas daraus zu machen und die letzten Loyalen ihrem Captain zur Hilfe eilen zu lassen.
In der zweiten Hälfte des Buches büßen die Szenen merklich an Spannung ein, wirken mechanisch und sind vorhersehbar konstruiert. Da kann man die Zeilen regelrecht überfliegen. Auch merkt man, dass mit der Idee, in die Abgründe romulanischer Politik einzutauchen, in Death in Winter bewusst gespielt wird. Doch am Ende bleibt dies Makulatur, weil man dem im selben Jahr erschienen Pilotroman von Star Trek: Titan wohl nicht die Show stehlen wollte. Trotz der Skizzierung politischer Hintergründe muss sich Death in Winter damit begnügen, so wie Nemesis mit den Remanern einen Nebenkriegsschauplatz zu thematisieren und eher an der Oberfläche zu bleiben. Ebenfalls ein Manko ist Selas Rückkehr: Wer sich auf ein gefährliches Spiel mit der hybriden Antagonistin freut, wird enttäuscht werden. Sie scheint seit den letzten Begegnungen abgebaut zu haben.
Schwierig sind schließlich die Verweise in die (ausgesprochen erfolglose) Stargazer-Reihe von Autor Friedman. Es wirkt beinahe wie eine kleine Selbstbeweihräucherung. Das Gros der TNG-Fans, die zu diesem Buch greifen, wird mit Joseph Pug und Carter Greyhorse nur herzlich wenig anfangen können und sie als ablenkenden Ballast empfinden.
FazitUnter dem Strich ist das alles aber zu verschmerzen, denn das Buch dreht sich, wie vom Cover bereits angedeutet, nur in zweiter Linie um Politisches. Death in Winter sollte für das wertgeschätzt werden, worauf es von der ersten Seite aus ist: aufzuräumen mit einer totgeschwiegenen Liebe. Deshalb verteidige ich dieses Buch, weil ich finde, dass es aus der Masse der generischen Star Trek-Romane hervorsticht.
Und doch kann Death in Winter die über allem schwebende Frage, wie es denn jetzt mit TNG weiter geht, nicht hinreichend beantworten. Zu schwer wiegt da noch der in großem Stil erfolgte Wegzug der Stammbelegschaft, für die erst einmal Ersatz aufgetrieben werden muss. Der Roman ist bestenfalls ein Vorlauf für künftige Bücher, denen es zufallen wird, TNG dauerhaft wiederzubeleben. Nichtsdestotrotz will ich nicht mit Vorschusslorbeeren geizen: Death in Winter hat bei mir gewisse Erwartungen geweckt.
6/10 Punkten. 1-2009 |
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