InhaltDie Operation Vanguard steht am Abgrund. Sie hat nicht nur mehrere ihrer zentralen Offiziere verloren. Seitdem das Geheimnis um die Taurus-Ausdehnung keines mehr ist, wetteifern Tholianer, vor allem aber Klingonen, unverhohlen aggressiv mit der Föderation um den Raumsektor. Ein regelrechter Expansionsrausch ist ausgebrochen, mit dem Ziel jeder Seite, sich möglichst viele Fragmente des Taurus-Metagenoms einzuverleiben. Exempel sind bereits statuiert worden: Richtig zusammengesetzt, könnte eine unglaublich machtvolle Waffe aus den DNA-Fragmenten geschmiedet werden.
Angesichts der erhitzten Lage, die in absehbarer Zeit zu einem grenzenlosen Mehrfrontenkrieg führen könnte, steht Vanguard-Station unmittelbar vor einer Katastrophe: Vor allem die neuerliche Ausdehnung der Klingonen droht sämtliche Versorgungslinien in die Föderation abzuschneiden. Damit besteht die reelle Gefahr, dass die Sternenflotte schon bald nicht mehr am ‚Great Game' um die Taurus-Ausdehnung partizipieren kann und die Situation noch weiter außer Kontrolle gerät.
Inmitten dieses Unheils ist Diego Reyes nicht mehr länger Teil des Vanguard-Projekts. Wurde er im letzten Band, Open Secrets, angesichts seiner fragwürdigen Entscheidungen in Reap the Whirlwind vor ein Militärtribunal gestellt und verurteilt, befindet er sich nun auf dem Weg zur Erde, um dort eine lebenslange Haftstrafe zu verbüßen. Doch das kleine Schiff, das ihn in die Föderation zurückbringt, bekommt, bevor es die Taurus-Ausdehnung überhaupt verlassen kann, unerwartete Gesellschaft. Orionische Piraten greifen an und machen kurzen Prozess mit der Korvette. Nur Reyes wird verschont und von den Unbekannten entführt.
Als er wieder zu sich kommt, darf er mit nur geringer Begeisterung herausfinden, dass hinter seiner Entführung die Klingonen stehen. Genauer gesagt, das mysteriöse Ratsmitglied Gorkon. Gorkon macht dabei seinem älteren Ego aus dem sechsten Kinofilm alle Ehre: Als einer von wenigen Klingonen in Machtpositionen stemmt er sich gegen eine weitere Eskalation der Lage in der Taurus-Region. Er ließ nicht nur Reyes, sondern auch den tholianischen Dissidenten Ezthene entführen, weil beide als Experten für die Geheimnisse der Raumgegend gelten. Zusammen mit ihnen möchte er, wie er eröffnet, alles daran setzen, um wieder zum Frieden zwischen den Mächten zurückzufinden, allem voran zwischen den Klingonen und der Föderation. Gorkon scheint trotz seiner idealistischen Grundveranlagung Realist genug zu sein, dass in Anbetracht des allgemeinen Misstrauens der Völker zunächst nur ein Waffenstillstand Aussichten hat. Aber dazu muss die klingonische Regierung erst einmal umgestimmt werden – ein Job, an dem auch Reyes beteiligt werden soll.
Auf Vulkan sehen die Dinge nicht sehr viel rosiger aus. Seitdem Tim Pennington und Doktor M'Benga aufbrachen, um T'Prynn von ihrem existenziellen Leiden – dem Katra des ihr versprochenen Mannes – zu befreien, sind Monate vergangen. T'Prynn konnte zwar durch einen vulkanischen Mystiker geheilt werden, doch nun erwartet sie mit großer Wahrscheinlichkeit das Kriegsgericht und damit das Ende ihrer Karriere. Der Grund: Jahrelang hat sie die Sternenflotte betrogen. Sie hat ihre Akte und Sicherheitsstufe in vielerlei Hinsicht umfangreich gefälscht, um ihre psychische Instabilität unter den Tisch zu kehren.
T'Prynn, die verhindern will, ihren Status im Geheimdienst zu verlieren und unbedingt nach Vanguard zurückkehren möchte, hat wenig Lust zu warten, bis sie von einem Haufen Sicherheitsoffiziere abgeholt wird. Stattdessen bittet sie Pennington – jenen Mann, dessen Karriere sie vor nicht allzu langer Zeit mit einer umfangreichen Desinformationskampagne ruinierte –, ihr zu helfen, wieder zu Anerkennung zurückzufinden. Da M'Benga abkommandiert wird, sind Pennington und die ungewöhnliche Vulkanierin nun auf sich selbst gestellt. Doch T'Prynn beginnt, als sie sich über die Neuigkeiten um Reyes' angeblichen Tod informiert, bereits einen Plan ins Auge zu fassen: Sie gedenkt sich in den Augen der Sternenflotte zu rehabilitieren, indem sie die Orioner um den Verbrecherkönig Ganz der Zusammenarbeit mit den Klingonen überführt.
Wo ehemals gestandene Offiziere wie Reyes und T'Prynn auf Abwegen sind, ist es verblüffend, dass das entscheidende Rädchen im Geheimdienstgetriebe plötzlich Cervantes Quinn zu sein scheint. Der ehemalige Händler und Trunkenbold, der seine wenig freiwillige Rekrutierung für das SIA niemand anderem als T'Prynn verdankt, stößt mit der Rocinante und seiner Kollegin McLellan auf eine eigenartige Welt namens Golmira im Herzen der Taurus-Ausdehnung. Recherchen unter den Einheimischen führen beide auf die Fährte eines uralten Shedai-Artefakts, das hier ruhen soll. Unglücklicherweise droht das klingonische Militär ihnen zuvorzukommen, und in Besitz dieser machtvollen Verbindung könnte das Reich in die Lage versetzt werden, kurzen Prozess mit der Sternenflotte zu machen.
Admiral Nogura, der auf Vanguard darüber in Kenntnis gesetzt wird, was die Klingonen bald erreichen könnten, setzt alles auf eine Karte: Er beordert die Endeavour, das mächtigste Schiff im Vanguard-Getriebe, samt Begleitung nach Golmira, um die Klingonen zu vertreiben. Gleichzeitig sollen Quinn und McLellan auf der Oberfläche zu Guerilla-Attacken greifen, um die Befestigung der feindlichen Militärtruppen empfindlich zu treffen - ein nahezu unmögliches Unterfangen. So oder so: Je mehr die Konfrontationen um den Erwerb der Shedai-Artefakte zunehmen, desto mehr scheinen Gorkons Bemühungen, der großen Eskalation doch noch Einhalt zu gebieten, zu spät zu kommen. Und dann wird auf Vanguard-Station zu allem Übel das geheimnisvolle Myrdonyae-Artefakt aus dem Geheimlabor von Doktor Marcus gestohlen...
KritikNachdem die Operation Vanguard anno 2005 das Licht der Welt erblickte, ist knapp fünf Jahre später der fünfte Band erschienen. Eine in jedem Fall durch und durch ungewöhnliche Buchreihe ist somit weit fortgeschritten. Doch Reife führt zwangsläufig zu Veränderungen - und veränderten Erwartungen seitens des Lesers. Nach einer Vielzahl actiongeladener und garantiert intrigenlastiger Abenteuer in der Taurus-Ausdehnung hat sich der Leser an den besonderen Charme und das Setting der Serie gewöhnt – man könnte auch sagen, er ist nicht mehr so leicht vom Hocker zu reißen. Umso spannender ist die Frage, wie Vanguard – das es bislang immer wieder schaffte, sich aus sich selbst heraus zu erneuern – für weitere Innovation und Überraschungen sorgen will. Besonders unter diesem Aspekt sollte Precipice zu lesen sein.
Was zunächst auffällt, ist, dass Vanguard seiner spezifischen Dramaturgie treu bleibt: Stammautor David Mack lässt auch in diesem Wurf die typische Vanguard-Ironie einfließen. Charaktere, die einander eigentlich hassen müssten, werden durch die Launen des Schicksals zusammengewürfelt und kommen sich näher. Diesmal wird dieses Prinzip hauptsächlich auf das Verhältnis von T'Prynn und Pennington angewandt. Auch die allgemeine Stimmung bleibt nahe an der Schwelle zur Katastrophe, und Vanguard macht seiner Rolle als Battlestar Galactica im Star Trek-Universum alle Ehre.
In Precipice liegt der Druckpunkt besonders auf der Konfrontation der Militärs, nachdem diplomatische Initiativen weithin gescheitert sind und nur das unerwartete Eingreifen der Organier in Open Secrets den Ausbruch eines totalen Kriegs zwischen Klingonen und Föderation verhindert hat. Diese angenehm geladene Atmosphäre wird treffend untermauert durch den kurzen, prägnanten Stil, den man an Mack zu schätzen weiß und der Vanguard seit Harbinger im wahrsten Sinne ein Gesicht gegeben hat.
Trotzdem ist es wohl das erste Mal, dass Lesererwartungen enttäuscht werden könnten. Gründe hierfür gibt es mehrere, und sie beziehen sich allesamt auf die Story, nur bedingt auf den Schreibstil oder die Plotgestaltung. Die Geschichte in Precipice dümpelt gerade in der ersten Hälfte leider zu sehr vor sich hin. Daran können klingonische Drohgebärden und das Auftauchen neuer Shedai-Artefakte nur bedingt etwas ändern – wir hatten wohl einfach schon zu viel davon. Mack, der das als kluger Autor weiß, reagiert, indem er die Weichen anders zu stellen beginnt und sich wieder verstärkt auf die politische Lage konzentriert, was der Plot um Reyes und Gorkon belegt. Dennoch springt der Funke diesmal nicht so ganz über.
Das mag vor allem daran liegen, dass seit Reap the Whirlwind eine dramaturgische Situation entstanden ist, die stark zur Grüppchenbildung geführt hat. Spätestens mit Reyes' und T'Prynns Abtritt von der Befehlsebene hat sich das Zentrum der Geschichte von Vanguard-Station wegverlagert; sie ist nur noch ein Schauplatz unter vielen. Die zunehmende Dichte der Story in den zurückliegenden Büchern hat auch zu einem gewissen Kollaps des galaktischen Who-is-who geführt. Precipice hat, verglichen mit früheren Bänden, ein relativ kleines Aufgebot an Figuren zu bieten – was ich nicht unbedingt als Nachteil empfinde.
Leider ist die Story so ausgerichtet worden, dass zahlreiche Charaktere, die Vanguard bislang die besondere Eigendynamik verliehen, ihre Selbstständigkeit eingebüßt haben. Einmal abgesehen vom fortschreitenden Verstummen der wiederkehrenden Gastrollen: Pennington, der bislang kecke, investigative Reporter, wird zum eher witzlosen Gefährten T'Prynns, so wie er bereits im vierten Buch an der Seite M'Bengas nur mehr eine bessere Statistenfunktion ausübte. Quinn – seinerseits der Gegenfigur Pennington beraubt – ist plötzlich ein guerillatreibender Geheimdienstaktant, bei dem nur noch die gelegentliche Sprücheklopferei an sein früheres Ich zu erinnern scheint. Viele andere Figuren wie Botschafter Jetanien, welcher in früheren Büchern noch groß von sich reden machten, gehen in Precipice nahezu komplett baden. Das Nimbus-III-Intermezzo ist ein netter Canoneinschlag, letztlich aber nicht von entscheidender Bedeutung und somit eher eine schlechte Entschuldigung dafür, dass der Chelone zum ersten Mal kaum noch vorkommt (sein Kollege Lugok und er verbringen ihre Zeit ohnehin nur mit Warten).
Die Geschichte um T'Prynn ist eher Lückenbüßer und Nebenkriegsschauplatz, auch wenn Mack versucht, sie wieder stärker mit der Rahmenhandlung zu verzahnen, nachdem Dayton Ward sie in Open Secrets vollständig aus dem Hauptgeschehen ausgekoppelt hat. Wirkliches Potential lässt gerade auf den ersten hundertachtzig Seiten nur der Handlungsbogen um Reyes' Entführung vermuten. Aber das wird gleich abgewürgt, weil Gorkon auf eine schrecklich lange Reise nach Qo'noS gehen und Reyes und Ethzene in ihren Zellen modern lassen muss - es entsteht eine ähnliche Frustration wie im Fall Jetaniens.
Überhaupt fällt es ein wenig schwer, Gorkons Beweggründe nachzuvollziehen. Zugegeben, es mag auch friedfertigere Klingonen geben, und keine Reihe weiß die Unterschiede von Angehörigen ein- und desselben Volkes so deutlich herauszuarbeiten wie Vanguard. Allerdings fällt in Gorkons Fall doch auf, dass Mack unbedingt eine Verbindung zum Friedenskanzler des letzten TOS-Kinofilms einrichten wollte – und das macht die Sache platt. Gorkon wirkt, obwohl er natürlich auch noch eigene Interessen verfolgt, etwas aus der Rolle gefallen. Vielleicht wäre es sinnvoll gewesen, ihn nicht von vorneherein als Idealisten darzustellen, sondern ihn erst aus einschneidender Erfahrung lernen und einen gravierenden Wandel vollziehen zu lassen. Das immerhin hätte eher der bislang praktizierten Vanguard-Manier entsprochen.
Noch etwas fällt auf: Früher bildeten die Vanguard-Romane in sich immer eine homogene Einheit. Der erste und zweite Teil des vorliegenden Buchs fallen jedoch zu stark auseinander. In der zweiten Hälfte gibt es zwar wieder verstärkten Kontakt zwischen mehreren Figuren, die vorher voneinander abgeschnitten waren. Dennoch ist das eher ein kurzweiliges Abenteuer, an dessen Ende wieder viele Phaserblitze stehen und ein weiteres Gerichtsurteil. Besonders ärgerlich dürfte sein, dass man am Ende von Precipice immer noch nicht so richtig weiß, was denn jetzt mit Reyes passiert und wo er seinen künftigen Platz finden wird. Dabei war er doch eigentlich die Hauptfigur. Doch Nogura hat seine Rolle so übernommen, dass man ihn gar nicht einmal mehr so vermisst. Mag dazu auch passen, dass den Reyes-Szenen immer nur ein paar wenige Seiten eingeräumt worden sind?
Der relativ vorhersehbare Schluss des Buchs lässt zumindest hoffen, dass Vanguard auf ein Ziel hinsteuert. Die Kontaktaufnahme mit den Shedai ist ein überfälliger Schritt und wird hoffentlich behilflich sein, die kaum noch überblickbaren Einzelmysterien, auf die die Sternenflotte bislang stieß, erklärend einzuordnen. Jetzt wird es darauf ankommen, die Geschichte zügig auf einen gut überlegten Punkt zulaufen und Vanguard wieder zum Nexus des allgemeinen Geschehens werden zu lassen. Every show must come to an end - selbst, wenn die größere Franchise-Show natürlich weiter läuft.
FazitVanguard Nummer fünf zeigt erste Ermüdungs- und Wirrungserscheinungen. Mit Sicherheit ist Precipice eine nach wie vor solide Geschichte, aber bezogen auf den bereits ausgebreiteten Wandteppich von Vanguard ist es kein großer Wurf mehr. Die Story, die gerade zu Anfang unter Grüppchenbildung und Nebenhandlungen leidet, kommt erstaunlich schwer in Fahrt; auch die Shedai-Bedrohung verliert allmählich ihren Gänsehauteffekt.
Es ist das erste Mal, dass ein Mack-Buch nicht den hohen Erwartungen als Schrittmacher der Vanguard-Handlung gerecht werden kann. Wie wäre es, wenn man jetzt alles auf eine Karte setzt und nach dem siebten Band den Deckel drauf macht? Wäre immerhin eine schöne Zahl - und eine Star Trek-Saga, die unter Fans unvergessen bleiben wird.
6/10 Punkten. 2-2010 |
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