Summon the Thunder

Autoren: Dayton Ward & Kevin Dilmore
Erscheinungsjahr: 2006
Seitenzahl: 420
Band: 1.2

Zeitraum: 2265

 

Inhalt

 

Die Taurus-Region im Jahr 2265, rund einen Monat nach Harbinger. Sah es bis vor wenigen Wochen noch danach aus, als wäre ein Krieg zwischen Föderation und Tholianern kaum zu vermeiden, rettete letztlich – wir erinnern uns – eine moralisch fragwürdige Desinformationskampagne, die der Eingeweihtenzirkel um Diego Reyes und T’Prynn ausheckte, noch einmal den interstellaren Frieden. Zudem gelang es gerade rechtzeitig, das große Geheimnis um die Anwesenheit der Sternenflotte in der mysteriösen Raumausdehnung zu wahren.

 

Nun, einen Monat später, hat sich das politische Blatt in der Taurus-Region um nahezu hundertachtzig Grad gewendet: Die massive Expansion klingonischer Streitkräfte, die bereits ein halbes Dutzend Planeten erobert haben, führt zu zahlreichen Konfrontationen zwischen tholianischer Versammlung und dem aggressiven Kriegerreich. Auffällig dabei ist jedoch, dass die Tholianer die Klingonen bei jedem neuen Vorstoß in die Ausdehnung angreifen, zugleich aber keine eigenen Ansprüche auf das Gebiet erheben. Bereits in Teil eins bekamen wir das Gefühl, als halte irgendetwas die Tholianer zurück; etwas, das durchaus ihre Furcht weckt.

 

Ungeachtet dieser rätselhaften Beobachtungen verselbstständigen sich die gewaltsamen Auseinandersetzungen zwischen beiden Mächten so sehr, dass sich (die bis vor kurzem selbst noch im Fadenkreuz befindliche) Sternenbasis 47 unerwartet in der Vermittlerrolle wiederfindet. Der Föderationsbotschafter Jetanien, trotz seines Sarkasmus ein überzeugter Anhänger des Friedens, beginnt alles daran zu setzen, eine Aussprache zwischen den verfeindeten Blöcken in der Taurus-Region zu erreichen.

 

Während er eine Konferenz anberaumt, deren Ausgang mehr als ungewiss ist, befindet sich Ming Xiong – ebenfalls einer der Geheimniskrämer im Dunstkreis von Commodore Reyes – auf dem Eisplaneten Erilon. Im Zuge der Investigation der Enterprise auf der (durch die Tholianer angegriffenen) Welt Ravanar IV gelang es in Harbinger, einen weiteren Ort ausfindig zu machen, auf dem das hochkomplexe Taurus-Metagenom vorkommt – inklusive einer gigantischen unterirdischen Anlage, deren Sinn und Zweck Xiong seither habhaft zu werden versucht.  

 

Doch während der Forschungsarbeiten kommt es zur Katastrophe: Xiongs Untersuchungen wecken ein unvorstellbar grausames außerirdischen Wesen, welches das Sternenflotten-Team unvermittelter Dinge angreift. Zeitgleich wird ein gewaltiges planetares Abwehrsystem aktiviert, dessen Waffen die im Orbit befindliche U.S.S. Endeavour schwer beschädigen. Unter herben Verlusten gelingt es dem Constitution-Kreuzer, die Überlebenden des Forschungsteams zu bergen und die Flucht zu ergreifen.

 

Kurz darauf kommt es – diesmal für die Klingonen – noch schlimmer in der Taurus-Ausdehnung: Der von ihrer Garnison annektierte Planet Palgrenax wird durch eine unglaublich mächtige Kreatur, die die gleiche wie auf Erilon zu sein scheint, pulverisiert. Beide Vorfälle führen Xiong nach einem Abstecher zur Station schließlich zurück nach Erilon, um die fremde Technologie besser zu verstehen. Alles erfährt jedoch eine ungeahnte Wendung, als sich herausstellt, dass die neu entdeckte Lebensform – und damit auch das berüchtigte Metagenom – gewisse genetische Ähnlichkeiten mit den Tholianern aufweist...

 

 

Kritik

 

Nach dem beeindruckenden Auftakt von Vanguard, das Star Trek in ein völlig ungewohntes Licht rückte, stellte sich die Frage, ob der zweite Teil den hochgeschraubten Erwartungen vieler Leser nun gerecht werden kann. Die kurze und eindeutige Antwort lautet: Er kann es. Summon the Thunder begeht nicht den Fehler, ein Aufguss von David Macks grandioser Vorlage zu sein. Vielmehr ist es eine eigenständige, authentische Fortsetzung: spannend und mitreißend bis zum Schluss – und zuweilen nichts für zart besaitete Leser.

 

Das Autorentandem Dayton Ward und Kevin Dilmore hat offenbar entschieden, die turbulenten Ereignisse von Harbinger in Sachen Ausmaß und Gewalttätigkeit noch einmal zu toppen – nun, dies ist ihnen gelungen. Obwohl ich kein Fan derartiger Exzesse bin, wie sie im Zusammenhang der Erilon- und Palgrenax-Handlung entfaltet werden, gehen viele Beschreibungen und Dialoge zweifellos unter die Haut, zeugen von schriftstellerischem Können. Dass Ward und Dilmore zudem besonderen Wert darauf legen, die schwierige politische Großwetterlage in der Taurus-Region ausführlich darzustellen, schafft ein dichtes, düsteres Ambiente, das ungeheuer erfrischend wirkt, ohne dabei Star Trek-typische Denkmuster vollkommen auf der Strecke zu lassen.

 

Besonders gefällt mir, wie reif der Umgang mit den Hauptfiguren, aber auch mit den außerirdischen Vertretern ist. Die Charaktere sind hervorragend getroffen und entwickeln sich gemäß den Vorgaben von Harbinger folgerichtig weiter. Gegen Ende wird auch klar, dass Commodore Diego Reyes nicht aus Jux und Dollerei den hohen Rang innehat, sondern auch gänzlich anders kann. Wieder ist Reporter Tim Pennington das Opfer. Jedoch steckt Reyes auch voller Unsicherheit und Zweifel, was man in der Gegenwart seines alten Freundes Ezekiel Fisher oder seiner Geliebten Captain Rana Desai gut merkt. Es fällt ihm merklich schwerer, über die Geheimnisse in der Taurus-Ausdehnung zu schweigen, und doch muss er es tun. Das macht ihn am Ende enorm menschlich. Reyes' Stellvertreterin T'Prynn geht es da mit ihrer zweiten Katra im Körper nicht besser, das ständig versucht, an die Oberfläche zu gelangen.

 

Vanguard beweist insgesamt erneut, dass es viele große und kleine Widersprüche, die das Leben mit sich bringt, nicht nur aushält, sondern als besonderes Alleinstellungsmerkmal gekonnt zu kultivieren versteht - man denke z.B. an das Liebesverhältnis zwischen T'Prynn und Anna Sandesjo. Bei den außerirdischen Spezies wirken insbesondere die Klingonen längst nicht mehr stereotyp wie in alten Star Trek-Romanen und -Folgen, sondern erhalten vor dem Hintergrund der Canoninformationen eine komplexe Identität, bei der die vielzitierte Ehre im Spannungsverhältnis zu anderen Eigenschaften und blanker Machtpolitik steht. Wer geglaubt hat, dass Aliens, die so viele Facetten besitzen, nicht interessant sein können, wird durch Summon the Thunder eines Besseren belehrt.

 

Die Idee, die Romulaner in die explosiven Geschehnisse in der Taurus-Gegend einzubauen, funktioniert perfekt. Damit sind auch die detaillierten Charakterisierungen der Kommandantin gemeint, anhand derer der kulturelle Unterschied zu anderen Völkern sehr gut erfahrbar wird. Am Ende des Buches erhalten wir sogar eine glaubwürdige Erklärung dafür, wieso das Sternenimperium sich 2266 (TOS-Episode: Spock unter Verdacht) an den Grenzen der Neutralen Zone zurückmeldet. Auf der anderen Seite mag es ein wenig schade sein, dass die Romulaner in der weiteren Vanguard-Saga wohl keine große Rolle mehr spielen werden.

 

Vor allem aber ist wichtig: Vanguard schreitet voran. Es gibt in Summon the Thunder elemenare Entwicklungen. Man hat zu keiner Zeit das Gefühl, durch allzu viel Action und Phaserfeuer hingehalten oder abgelenkt zu werden. Das Buch bietet wohl geballtes Kopfkino, und nicht selten fliegen den Figuren manche Gegenstände um die Ohren, aber es verzichtet dabei weder auf eine kluge Handlung noch auf die Fähigkeit, in eine Welt der Düsternis und immerwährenden Mysterien einzutauchen, die Star Trek ist und zugleich etwas Neues. Die Erkenntnis, dass es möglicherweise einen wichtigen Grund dafür gibt, warum die Tholianer die Taurus-Region meiden, ja sogar vor ihr Angst haben, wird im Zuge von Jetaniens Konferenz und weiteren Szenen geschickt gestreut und heizt die Gerüchteküche zusammen mit dem Rätsel um das Jinoteur-System (aus dem während der Bauphase von Vanguard eine unbekannte, mächtige Trägerwelle herannahte) ordentlich an. Dadurch geht Summon the Thunder in einen mustergültigen Cliffhanger auf.

 

Einzig enttäuschend und manchmal an der Grenze zur Trivialität ist der Handlungsbogen um Cervantes Quinn und Tim Pennington. So kurzweilig unterhaltsam der Plot um die Abholung von Ganz' zakdornianischem Buchhalter auch daherkommt, so gezwungen und in die Länge gezogen wirkt er häufig. Die Abenteuer des Freibeuters und des Reporters - ein zweifellos hochinteressantes Paar - können nicht mit der Dynamik und schöpferischen Kraft der anderen Handlungsbögen konkurrieren. Auch dadurch drängt sich zuweilen der Eindruck auf, Summon the Thunder hätte gut und gerne auf 100 Seiten verzichten können, auf denen die Tendenz besteht, für die Story eher unwichtige Details zu lang auszuführen (man denke nur an die ewig langen Selbstzweifel einer Atish Khatami, die leicht übertriebenen Gedankendarstellungen tholianischer und romulanischer Befehlshaber, den Einflug und die Beschreibung der U.S.S. Lovell, die als Ersatz für die zerstörte Bombay von Reyes angefordert wird; vor allem deshalb, weil ihr Kommandant Daniel Okagawa mit dem Taurus-Geheimnis vertraut ist). Dieses Manko führt jedoch im Großen und Ganzen nicht zu einer wirklichen Beeinträchtigung des Leseflusses; dafür ist die abgelieferte Leistung des Autorentandems schlicht zu überzeugend. Nein, Vanguard ist eine Reihe, in der Inhalte und Ideen klar dominieren!

 

 

Fazit

 

Operation geglückt: Mit seinem zweiten Teil, Summon the Thunder, geht Vanguard nach bestem Mack'schen Vorbild in die nächste Runde. Dabei verliert es weder seine Originalität noch sein Tempo oder den (leicht zynischen) Witz, der bereits in Harbinger zu finden war. Ebenso wenig kann an der inhaltlichen Qualität des Romans ernsthaft gezweifelt werden.

 

Unterm Strich wird ein ungeheuer erwachsenes Star Trek ausgebaut, das demonstriert, wie eigenständig der Romankosmos in den vergangenen Jahren geworden ist. Teil drei kann mit Spannung und Vorfreude entgegen gesehen werden.

 

8/10 Punkten.

9-2011