Das, was Du noch vor Dir hast...
Düsteres Ambiente, schwere Entscheidungen, Charaktere im Grenzgängertum und voller schillernder Widersprüche, ein Star Trek, das sich dem Thema Religion zuwendet. All das und noch viel mehr gab es in Deep Space Nine zu bestaunen, einer Star Trek-Serie, die so war wie keine Franchise-Show nach ihr jemals wieder. Sie war sogar derart komplex, dass sie am Ende ihrer siebten Staffel nicht einmal in der Lage war, alle offen gebliebenen Fragen zu beantworten.
Eben diese finale Lückenhaftigkeit bildete die Keimzelle für weitergehende Pläne der Star Trek-Romanabteilung von Pocket Books, damals unter Leitung eines gewissen Marco Palmieri. Der DS9-Relaunch, wie er später genannt werden sollte, nahm Form an und versprach, die einzigartige Storyline und packende Atmosphäre rund um die alte cardassianische Raumbasis zu neuer Blüte zu bringen. Nach New Frontier, das seit 1997 eine unabhängige Parallelexistenz geführt hatte, war die achte DS9-Staffel in Buchform eine neue Stufe der Star Trek-Roman-Evolution: Sie war der Prototyp für Fortführungen der existierenden Star Trek-Serien durch einen mutigen Editor und seinen Autorenstab.
Star Trek with an edge
„Kreativ sein heißt, die Welt zu umarmen.“, soll einmal jemand gesagt haben, dessen Element alles war, nur nicht die Welt der Science-Fiction. Wohl kaum eine andere Star Trek-Serie hat dabei die Welt in all ihrem Facettenreichtum, mit ihrer Dynamik, ihren Wundern und Flüchen so sehr umarmt wie der dritte Spross der Saga, Deep Space Nine.
Zum einen die Welt der Realität, weil die hypertechnisierte Utopie angereichert wurde mit den Themen unserer Zeit, allem voran Glauben und Hoffnung. Zum anderen die Welt von Star Trek selbst, weil sich in der Serie das Franchise in ungekannter Weise verdichtete. Auf der Station im bajoranischen Sektor trieben sich Klingonen, Romulaner und andere Völker herum, und ihre politischen Geschicke verschmolzen mit der Handlung der Serie. Auch in den heterogenen Charakteren schlug sich die Bezuglastigkeit von DS9 nieder, denn manche von ihnen waren aus TNG überführt worden. Kurzum: DS9 war eine Hommage auf zwei große Wirklichkeiten, die hier zueinander fanden. Das brachte der Serie unter Kennern die Bezeichnung ‚Star Trek with an edge‘ ein.
Zugegeben: Eine Weile brauchte die Serie, bis sie Fahrt aufnahm. Doch spätestens, als Benjamin Sisko sich die Haare abschnitt und die Brücke der Defiant betrat, wurde klar, dass es sich um eine Geschichte handelte, die ihre eigenen Wege beschritt. Und dabei ging es nicht nur um einen großen Krieg, epische Begebenheiten, um komplexe Handlungsbögen und ein ganzes Bataillon an wiederkehrenden Gastcharakteren.
Offene Fragen und erste Schritte
Noch während DS9 gedreht wurde, drängte sich der Verdacht auf, dass ein Projekt, welches in derartigem Maße von Stoff und Bezügen zehrt, fast zum Selbstläufer erwächst. Und so kam es dann auch: Das, was Du zurücklässt ließ im wahrsten Wortsinn etwas zurück, nämlich einen Haufen ungeklärter Fragen. Nun, da das Dominion besiegt wurde, wie geht es jetzt weiter im verwüsteten Alpha-Quadranten? Odo, Worf, O‘Brien – welche Wege schlagen sie und die anderen Charaktere ein? Und: Kommt Sisko irgendwann aus dem Reich der ominösen Propheten zurück? Diese Reihe ließe sich beinahe ins Unendliche fortsetzen – eine offene Frage jagte die andere.
Kein Wunder, dass Pocket Books bereits 2001 – ein Jahr nach Drehschluss – den fantastischen (und nebenbei auch wirtschaftlichen) Segen erkannte, der auf das unfertig wirkende Finale von DS9 gefallen war. Angesichts der Fanrufe nach Antworten: Was war verlockender als eine Fortsetzung der Serie in literarischen Gefilden? Ganz unaufgeregt begann man, einige separate Romane aus der Feder renommierter Autoren zu veröffentlichen, die das bestehende DS9-Epos stilvoll ergänzten.
Zu nennen wären die bewegte Geschichte des Cardassianers Garak (vgl. Roman DS9: A Stitch in Time) und biographische Ausschnitte aus dem Leben der Dax-Wirte (vgl. Roman DS9: The Lives of Dax), auf die eine respektable Studie des Martok-Charakters folgte (vgl. Roman DS9: The Left Hand of Destiny #1 und #2), eingebettet in die Wirren eines neuen Zeitalters auf der klingonischen Heimatwelt.
Erst mit der Zeit und mit einsetzendem Erfolg der Werke begannen die Pocket Books-Verantwortlichen um Marco Palmieri den Grund dafür zu erkennen, warum es seinerzeit so schwer gefallen war, literarisches Futter zu DS9 zu kreieren, während die Serie lief: Im Gegensatz zum eher gewohnheitsverwöhnten TNG-Vorläufer änderte sich die Story einfach viel zu schnell, als man in den Büchern dynamisch darauf hätten eingehen können. Es war nicht vorherzusehen, dass Odo eigentlich ein Mitglied der Gründer ist, ebenso wenig wie Julian Bashirs dunkles Geheimnis, und von den Hintergründen bei Siskos Zeugung wollen wir erst gar nicht reden. Aber jetzt, endlich, war das Fenster der Gelegenheit offen für einen Deep Space Nine-Relaunch.
Eine Vision macht Schule
Als die Autorin S.D. Perry den Auftrag zugesprochen bekam, einen Auftaktzweiteiler für die literarische achte Season aufs Papier zu bringen, ahnte niemand, dass jener Relaunch wenige Jahre später bereits Dutzende von Werken umfassen würde, allesamt untereinander sowie mit den interessanten Punkten der Serie vernetzt. Noch viel weniger konnte man wissen, dass DS9 auf diesem Wege zum Vorreiter für eine ganz neue Generation von Star Trek-Romanen werden würde, die mehr Freiheit genießen und dem berühmt-berüchtigten Canon nicht nur unterliegen, sondern ihm sogar den eigenen Stempel aufdrücken. Im DS9-Relaunch kam erstmals eine Dynamik zum Tragen, die der Star Trek-Literatur gegenüber der TV-Ebene ein Alleinstellungsmerkmal verlieh und das Geschehen auf dem Bildschirm nicht mehr lediglich begleitete.
Herausgeber Palmieri sieht die Fortführung der Serie deshalb als zweiten Akt einer größeren Erzählung, nachdem ja der erste Akt mit der Aufnahme Siskos in den Himmlischen Tempel und mit dem Weggang zahlreicher Stammcharaktere ein recht dramatisches Ende gefunden hatte. „Es waren ganz neue Ufer, die wir anstrebten – und nun auch endlich einmal anstreben konnten.“, erklärt er. „DS9 war die erste Serie, die nicht im Ungefähren endete, sondern handfeste Möglichkeiten der Anknüpfung bot. Fragen konnten aufgegriffen und beantwortet, neue Figuren etabliert werden. Wir wollten eine Fortsetzung mit eigenem Antrieb, die jedoch nahtlos an das Gehabte anknüpfte. Aber von dort aus lag ein unentdecktes Land vor uns, das wir gemeinsam mit den Lesern entdecken und mit Leben füllen wollten.“
Der erste Schritt, so der Editor weiter, habe darin bestanden, ein loses Gerüst an narrativen Verbindungen zwischen den einzelnen Romanen zu entwickeln, die den DS9-Relaunch zu einem Ganzen zusammenschweißen würden. Wie bei jeder guten Langzeitgeschichte, musste sie inhaltliche Pflöcke einrammen, dabei aber den zuständigen Schriftstellern einen gewissen Spielraum an Kreativität und Flexibilität zubilligen, damit sie ihre Werke ohne zu große Hindernisse schreiben konnten. So entstand ein erzählerisches Konstrukt, das der Komplexität der Serie in nichts nachstand, noch intensiver auf die Charaktere und deren Weiterentwicklung einging und über alldem nicht vergaß, spannende Einzelabenteuer zu einem großen Ganzen zu verweben, das den Leser auf ein neues Level von Star Trek hievte.
„Ohne die Unterstützung des Studios“, räumt Palmieri indes ein, „hätte die Idee, dass wir DS9 nun eigenständig fortspinnen, niemals erfolgreich umgesetzt werden können“. Nach den positiven Erfahrungen um Peter Davids New Frontier war es hier, was eine größere Unabhängigkeit der Star Trek-Belletristik anging, zu einem Umdenken gekommen: Man legte Palmieri und seinen Autoren die weitere Zukunft von DS9 in die Hände. Wenige Jahre zuvor wäre so etwas noch kaum vorstellbar gewesen.
Anläufe für eine große Fortsetzungssaga
Der Relaunch führt die roten Linien von DS9 also konsequent weiter: Neben dem Werdegang der Protagonisten, die nun teilweise durch neue, interessante Figuren gestellt werden, stehen die Frage nach Bajors Föderationsbeitritt im Vordergrund, natürlich die Propheten, aber genauso das sich aus seiner Asche erhebende Cardassia, das im Gamma-Quadranten durch Odos Einwirken sich wandelnde Dominion und viele andere wiederkehrende Elemente der Serie. Es bieten sich aber auch eine Reihe neuer erzählerischer Möglichkeiten für die Fortsetzung.
Der DS9-Relaunch ist ein neuer Abschnitt für die Serie; ein sorgsam vorbereitetes Potpourri sich befruchtender Teile einer ganzheitlich angelegten und überaus komplexen Geschichte. Charaktere und Handlungen helfen mit, die fortlaufende Geschichte zu tragen und die allgemeinen Themen von Star Trek sowie die DS9-Spezifika zu verwirklichen. Es gibt neue und alte Storybögen, ebenso neue und alte Gesichter, und doch schmücken die Qualitäten, welche die TV-Serie auszeichneten – die Graustufen, die nuancierte Dramaturgie, die fortlaufende Erzählung – auch die Seiten des DS9-Relaunch.
Gerade in den dicht miteinander verwobenen Büchern der achten Staffel sind die Charakterentwicklung, die Konsistenz der Erzählqualität und das allgemeine Gefühl der Kontinuität beeindruckend. Das hat zweifellos mit einer sehr engen Kollaboration des beteiligten Autorenkollektivs zu tun gehabt, die sich kontinuierlich auf gemeinsame Linien und (Zwischen-)Ziele verständigten und es so schafften, einen regelrechten Marathonlauf zu absolvieren. So werden wir mit einer Reihe von überwölbenden Handlungssträngen verwöhnt, die das DS9-Universum grundlegend neu anordnen.
Was die Figuren angeht, begibt sich der Roman-Relaunch auf eine ganz neue Stufe an Tiefe und Kreativität. Kira, Ro, Bashir, Dax, Odo, Quark, Nog, Jake und andere TV-Legacy-Personen werden mit fesselndem und spannendem Material versorgt. Neue Stammfiguren wie Elias Vaughn, Prynn Tenmei, Shar und Taran’atar finden rasch Anklang und erweitern die narrativen Möglichkeiten von DS9 enorm. Es gibt Dutzende und Aberdutzende von Nebenfiguren mit be-merkenswerten Charakterzügen sowie eine Vielzahl faszinierender Aliens.
Wie Quark im Serienfinale schon sinnierte: „Je mehr sich die Dinge ändern, desto mehr bleibt alles beim Alten.“ Über die Sequel-Belletristik von Deep Space Nine lässt sich Ähnliches behaupten. Im allerbesten Sinne. Es ist eine ganz neue Ära für die Serie, und doch bleibt sie im Kern das, was sie schon immer war: Star Trek with an edge.
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