Künstliche Intelligenz am Beispiel Datas - Wo endet die Maschine, wo beginnt der Mensch?

 

Dieser Artikel ist erschienen in der deutschen Übersetzung des Romans The Persistence of Memory (Die Beständigkeit der Erinnerung), Cross Cult 2015.

 

Mit dem Androiden Data betrat Star Trek: The Next Generation seinerzeit Neuland: Ein künstlicher Mann wurde zum Protagonisten einer Science-Fiction-Serie. Im Laufe von 176 Episoden beantwortete TNG viele Fragen zu Data, warf aber auch neue auf. Nicht wenige davon wurden bereits in einem frühen Stadium der Serie thematisiert: Wie begreifen wir hochentwickelte künstliche Intelligenz? Was unterscheidet sie überhaupt noch vom Menschen? Und warum haben wir sie überhaupt erschaffen?

 

Dialektik von Mensch und Maschine

 

„Commander Data, was sind Sie?“
„Ein Android.“
„Was ist das?“
„Websters Wörterbuch, vierundzwanzigstes Jahrhundert, fünfzehnte Auflage, beschreibt einen Androiden als eine Maschine, die dem Menschen äußerst ähnlich ist.“
- Data zu William T. Riker, TNG-Episode Wem gehört Data?

 

Mit diesen Worten drückt Data sein Verständnis darüber aus, was er ist. Das Wort ‚Android‘ stammt aus dem Griechischen und setzt sich zusammen aus ‚Andro‘ (Mann) und ‚id‘ (ähnlich). Der Duden definiert den Androiden als eine „Maschine, die in ihrer äußeren Erscheinung und in ihrem Bewegungsverhalten einem Menschen ähnelt (Kunstmensch)“. Ein idealer Android ist demzufolge ein künstlich geschaffenes Wesen, das sich vom Menschen nicht mehr ohne weiteres unterscheiden lässt. Maschine und Mensch verschmelzen.

 

Die Idee eines solch künstlichen Mannes geht ursprünglich nicht auf Gene Roddenberry, Rick Berman oder andere Erschaffer von Star Trek zurück. Vielmehr wurzelt sie tief in der modernen Menschheitsgeschichte und hat sich im Laufe der Zeit in verschiedenen Erscheinungsformen gezeigt und weiterentwickelt.

 

Bereits Mary W. Shellys Frankenstein von 1818 konfrontiert uns mit der Erschaffung von künstlichem Leben. Der talentierte Wissenschaftler Victor Frankenstein vereint Teile verschiedener menschlicher Leichen und belebt sie. Es entsteht allerdings eine monströse und von der Gesellschaft wie auch von Frankenstein selbst verstoßene Kreatur, die letzten Endes durch die Ablehnung und Feindseligkeit, die sie erfährt, selbst gewalttätig wird und mordet.

 

Frankenstein trug den Untertitel Der moderne Prometheus, was ein deutlicher Hinweis auf den menschlichen Wunsch ist, selbst Leben zu schaffen und Gott spielen zu können. So ging es in dem Buch denn auch weniger um wissenschaftliche Authentizität, sondern darum, was einen Menschen zum Menschen macht, worin die Integrität einer menschlichen Persönlichkeit besteht und welche Reche ein Individuum besitzt.

 

Dies sind die zentralen Fragen, die 169 Jahre später Gene Roddenberry mit der Kreierung der Figur des Data verfolgen möchte. Es geht darum, über den Weg der Verfremdung durch eine künstliche, hochintelligente Lebensform die fundamentalen Fragen der menschlichen Natur, Identität und Würde zu klären. Doch anders als Frankenstein oder zahlreiche andere Bücher und Filme, die künstliche Menschen als Monstren und Bedrohung für die Menschheit inszenieren, verfolgt Star Trek eine positive Utopie. Künstliches Leben wird, jedenfalls anhand des Hauptcharakters Data, als Chance und Verheißung dargestellt – und es wird in die Reihen der Menschen aus Fleisch und Blut integriert anstatt abgestoßen. Dennoch spielen der soziale Kontext und die gesellschaftlichen Wertvorstellungen, unter denen Data lebt, eine zentrale Rolle.

 

Das Gute in der Maschine

 

Anders als der Cyborg, der in der Verkörperung des bösartigen Borg-Kollektivs später Einzug in die Serie findet, beschreitet der Android den entgegengesetzten Weg. Es handelt sich um ein künstlich geschaffenes Wesen, das die Annäherung an den Menschen aktiv anstrebt. Data ist ein Prototyp dieses Prinzips. Sein Aussehen ist weitestgehend menschenähnlich, er kommuniziert auf eine menschliche Weise mit seinem Umfeld und ist mit einem entwicklungsfähigen Bewusstsein ausgestattet – er weiß, wer er ist, was ihn ausmacht und ist in der Lage, über sich selbst zu reflektieren. Die Fähigkeiten des Roboters zeigen sich in seiner exorbitanten kognitiven Leistungsfähigkeit – bei einem IQ-Test wäre er wohl jedem Menschen haushoch überlegen –, die Defizite wiederum im emotionalen Bereich, der ihm – jedenfalls zu Serienzeiten – weitgehend unzugänglich bleibt.

 

Für Gene Roddenberry war es äußerst entscheidend, der Maschine ein menschliches Aussehen zu verleihen, weil dies in seinen Augen eine Voraussetzung dafür ist, Data als sich entwickelnde Persönlichkeit anzunehmen. Zugleich ermöglichte die exotische Erscheinung (weiße Haut, gelbe Augen, strenge Frisur, kühle Sprache), seine Andersartigkeit in Szene zu setzen.

 

Der stärkste Ausdruck von Datas Android-Sein ist sein durch die Serie hinweg zum Ausdruck gebrachtes Bestreben, Gefühle entwickeln und wie ein Menschen empfinden zu wollen. Daher besteht ein wesentlicher Kern von Datas Identität darin, dass er menschliche Verhaltensweisen beobachtet, studiert und imitiert. Paradoxerweise ahmt er bestimmte Mimiken und Gestiken von Zeit zu Zeit derart perfekt nach, dass der Zuschauer sich unweigerlich die Frage stellen muss, ob der Android nicht doch zu bestimmten Gefühlsregungen fähig ist. Diesen vermeintlichen Widerspruch wollte Roddenberry ganz bewusst mit der Data-Figur setzen, um den Zweifel am vermeintlichen Gegensatz Mensch/Maschine zu mehren und alte Grenzziehungen ad absurdum zu führen.

 

Dazu passt auch, dass Data durch seine ethischen Subroutinen von Zeit zu Zeit humanistischer und (vermeintlich) gewissenhafter agiert als seine Kameraden bei der Sternenflotte. Ein Beispiel dafür ist die Episode Datas Hypothese, in der Data sich weigert, einen Befehl auszuführen, weil dadurch unschuldige Lebewesen in Gefahr gebracht würden. Erneut mit einer Art ethischem Fail Safe-Programm konfrontiert werden wir in Star Trek: Der Aufstand. Es lässt Data als nahezu unkorrumpierbar erscheinen, da ethisches Verhalten seiner Grundprogrammierung entspricht.

 

Die Maschine als Charakterisierung des Menschen

 

Eine der zentralen Fragen, die TNG aufwirft, betrifft die Motivation des Menschen, künstliches Leben in die Welt zu setzen. Warum tut er dies? Welche Absicht steht dahinter?

 

1997 veröffentlichte Richard Barbrook einen Essay namens Der heilige Cyborg, demzufolge es im Wesentlichen vier Menschheitsträume sind, auf die die Beschäftigung mit künstlicher Intelligenz und künstlichem Leben zurückgeht: "Babies zu machen ohne Sex zu haben; der Herr über Sklaven zu sein; Unsterblichkeit zu erlangen; ja sich sogar in reinen Geist zu verwandeln".

 

Einige dieser Aspekte werden von The Next Generation besonders stark thematisiert und stellten bei der Entstehung der Drehbücher einen Ausgangspunkt dar. So wird in der wegweisenden Episode Wem gehört Data? bereits in der zweiten Staffel der Serie ein Szenario diskutiert, in dem Data massenhaft dupliziert und der Sternenflotte eine ganze Armee von Androiden zur Verfügung stehen könnte, denen jedoch die Rechte des Individuums verwehrt bleiben. Picard wendet diese drohende Gefahr in der Rolle von Datas Verteidiger ab, indem er der Sternenflotten-Justiz glaubhaft vor Augen führt, dass eine neue Form der technologischen Sklaverei bevorstünde. Data erhält die vollständigen Rechte einer Person explizit zugesprochen und darf über sein Schicksal bestimmen. Die Androiden-Armee bleibt ein schwüler Albtraum.

 

Der Gedanke der Unsterblichkeit ist ebenfalls einer, der beispielsweise für Datas ‚Vater‘, Doktor Noonien Soong, eine Rolle spielte. Dieser Aspekt wird auch in der Trilogie Kalte Berechnung stark thematisiert. Für Soong war allerdings noch wichtiger, dass er mit Data ein selbst für ihn als Erschaffer wundersames Wesen in die Welt setzte, das in seinem nie enden wollenden Streben, menschlich zu sein, schier unendliche Potenziale für Verbesserungen und Selbstkritik bereithält – was auch die menschliche Natur betont, wie sie gerade Star Trek propagiert (Picard: „Wir arbeiten, um uns selbst zu verbessern – und den Rest der Menschheit“).

 

Datas Reise in Richtung Mensch

 

Die sieben TNG-Staffeln und die darauf folgenden vier Kinofilme zur Serie können auch als eine Begleitung Datas gesehen werden, menschlich zu werden, Gefühle zu begreifen und nachempfinden zu können. So lernen wir seine vielfältigen Hobbys kennen: Er spielt Oboe, Flöte und Violine, malt Ölbilder und schreibt Gedichte, unter anderem für seine Katze Spot. Vor allem aber bemüht er sich darum, Freundschaften aufzubauen und zu pflegen; sogar auf Liebesbeziehungen lässt er sich ein.

 

Auch sehen wir, wie Data Gegenstände mit einem persönlichen Wert besetzt. So hält er ein holografisches Abbild der verstorbenen Tasha Yar in Ehren, mit der er seine ersten sexuellen Erfahrungen machte. Dieser Aspekt der Wertezuordnung ist von entscheidender Wichtigkeit, als es in Wem gehört Data? darum geht, zu ermessen, ob der Android in den Besitz der Sternenflotte fällt oder als intelligentes Lebewesen mit allen dazugehörenden Rechten gilt.

 

Data überspringt also die reine Maschinenebene bei Weitem. Dennoch stellen wir im Laufe der Serie immer wieder fest, dass er eben doch kein Mensch ist. Trotz all seiner Bemühungen, emotionsmotivierte Handlungen nachzuvollziehen, erreicht er, wie er gegenüber seinem Freund Geordi LaForge in Treffen der Generationen einräumt, einen toten Punkt. Daher entscheidet er, sich einen experimentellen Emotionschip einbauen zu lassen, den er seinem ‚Zwillingsbruder‘ Lore entnahm. Data erreicht auf seiner Entwicklungsskala in Richtung Menschlich-Sein fortan eine neue Stufe, kommt jedoch selbst mit dem Gefühlschip nur bedingt an die menschliche Natur heran.

 

Im Leinwandfinale, Star Trek: Nemesis, scheint er seinen Emotionschip – die genauen Gründe erfahren wir nicht – wieder permanent abgeschaltet zu haben. Am Ende des Films opfert sich Data, um Picard und seine Kameraden auf der Enterprise zu retten. Es liegt eine gewisse Tragik darin begründet, dass in seinem Tod vielleicht der größte Beweis für seine Menschlichkeit und Empfindsamkeit liegt.

 

Ist Data am Ende nun mehr Mensch oder mehr Maschine? Die Frage wird sich vermutlich nie ganz beantworten lassen. Doch vielleicht sollte sie das auch gar nicht. Picard machte früh in der Serie deutlich, dass er Data als ein Wesen ‚sui generis‘ sieht, als eine eigene Spezies für sich. Diese Ein-Mann-Spezies lotet die Grenzbereiche zwischen Mensch und Maschine tagtäglich neu aus, bringt beides auf eine neue Weise zusammen und erweitert somit den Kosmos des Lebens und der Möglichkeiten enorm. Wenn das nicht der Star Trek-Geist in Reinkultur ist, dann nichts.